Kleine schriftliche Anfrage mit Antwort:Übergriffe und Straftaten gegen Menschen mit queeren Lebensentwürfen

Vorbemerkung der Abgeordneten
Laut einer Antwort auf eine kleine Anfrage im Deutschen Bundestag wurden im Jahr 2018 bundes-weit 313 Straftaten polizeilich registriert, die unter Hasskriminalität/Sexuelle Orientierung eingeordnet wurden. Noch immer fällt es Jugendlichen schwer; sich als homo- oder transident oder inter-sexuell zu erkennen zu geben und offen mit ihrer sexuellen Orientierung und/oder geschlechtlichen Identität umzugehen. Die Jugendlichen fürchten Gewalt oder Diskriminierung. Dies ergab zuletzt eine Studie des Landesjugendrings und der Universität Göttingen. Da Homosexuelle und transi-dente Menschen häufig wegen ihrer sexuellen Orientierung und ihrer geschlechtlichen Identität Diskriminierungserfahrung erleiden, gehen verschiedene NGOs davon aus, dass die Dunkelziffer solcher Straftaten deutlich höher liegt.


1. Wie ordnet die Landesregierung Straftaten, die homo-, trans- oder queerfeindlich motiviert sind, in der Kriminalstatistik ein? Welche Definition liegt dieser Begründung zu-grunde? Welche Begrifflichkeiten verwendet die Landesregierung für die Kategorisierung?


Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) wird auf der Grundlage bundesweit abgestimmter Richtlinien erstellt. In der PKS werden die der Polizei bekannt gewordenen Straftaten einschließlich der mit Strafe bedrohten Versuche gemäß festgelegtem Straftatenkatalog vor Abgabe an die Staatsanwaltschaft (sogenannte reine Ausgangsstatistik) registriert. Es werden Fall-, Opfer- und Tatverdächti-genzahlen differenziert dargestellt. Angaben zu den Opfern werden dabei anonymisiert und in begrenztem Umfang erfasst.
Die Fragestellung betreffende Opfertypen werden nicht in der PKS erfasst. Demzufolge können durch die PKS keine Aussagen zu homo-, trans- und queerfeindlich motivierten Straftaten getroffen werden.


Im Gegensatz dazu können Straftaten der vorbezeichneten Art gemäß bundesweit gültigem „Definitionssystem Politisch motivierte Kriminalität“ (PMK) des BKA (Stand: 29.11.2017) unter dem Themenfeld „Hasskriminalität“, Unterthema „sexuelle Orientierung und/oder sexuelle Identität“ erfasst werden, wenn ihnen eine politische Tatmotivation zugrunde liegt.

Gemäß diesem Definitionssystem ist Hasskriminalität wie folgt definiert:
„Hasskriminalität bezeichnet politisch motivierte Straftaten, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen eine Per-son, wegen ihrer/ihres zugeschriebenen oder tatsächlichen u. a. sexuellen Orientierung und/oder sexuellen Identität gerichtet sind und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht bzw. sich in diesem Zusammenhang gegen eine Institution/Sache oder ein Objekt richtet.“

2. Falls homo-, trans- und queerfeindliche Straftaten nicht explizit erfasst werden, warum nicht?

Siehe Beantwortung zu Frage 1.


3. Wie viele als homo-, trans- oder queerfeindlich kategorisierte Straftaten wurden nach Kenntnis der Landesregierung seit dem 01.01.2014 begangen (bitte Zahl aufschlüsseln nach Jahresquartal und Ort (Landkreis) der Tat)?

Aus den zu Frage 1 dargelegten Gründen können in diesem Zusammenhang nur solche Straftaten dargestellt werden, wenn sie gemäß Definitionssystem Politisch motivierte Kriminalität erfasst wurden. Die Anzahl der erfassten Delikte in der PMK ist der folgenden Tabelle zu entnehmen:

Tabelle in der Drucksache oben rechts.

4. Wie viele der oben genannten Straftaten waren Gewaltdelikte (bitte aufschlüsseln nach Jahresquartal und Ort (Landkreis) der Tat)?

Folgende der zu Frage 3 aufgelisteten Straftaten waren Gewaltdelikte:

Tabelle in der Drucksache oben rechts.

5. Wie hoch ist der Anteil der Straftaten, die in der Kriminalstatistik als politisch-motiviert-rechts eingeordnet wurden (bitte Zahl aufschlüsseln nach Jahresquartal und Ort (Land-kreis) der Tat)?

Folgenden der zu Frage 3 aufgelisteten Straftaten lag eine rechte Tatmotivation zugrunde:

Tabelle in der Drucksache oben rechts.

 

6. Wie groß schätzt die Landesregierung den Anteil der Straftaten ein, die nicht polizeilich registriert werden?
Das Ausmaß und die Entwicklung der Kriminalität in Niedersachsen werden wesentlich durch die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) abgebildet. Die PKS wird seit Jahrzehnten bundesweit nach ein-heitlichen Standards geführt und ist unverzichtbar. Sie enthält jedoch nur Angaben über die Strafta-ten, die durch Anzeigen der Bürgerinnen und Bürger oder durch die eigene Wahrnehmung der Polizei bekannt wurden. Die PKS bildet damit das Hellfeld der Kriminalität ab. Daneben existiert ein Dunkelfeld der Kriminalität, also Straftaten, von denen die Polizei keine Kenntnis erlangt. Seit der ersten Befragung zu Sicherheit und Kriminalität im Jahr 2013 werden durch die Kriminologische Forschung und Statistik (KFS) des Landeskriminalamts Niedersachsen die Erkenntnisse der PKS um Daten aus dem Dunkelfeld ergänzt.

Angaben zum Anzeigeverhalten bei Hasskriminalität allgemein sind im Sonderbericht der KFS zur Befragung zu Sicherheit und Kriminalität in Niedersachsen 2017 „Vorurteilskriminalität (Hate Crime), Erfahrungen und Folgen“ enthalten. Demnach unterscheidet sich die mittlere Anzeigequote unter Opfern von vorurteilsmotivierter Kriminalität mit 26,1 % nicht von der Anzeigequote aller anders motivierten Taten (26,9 %).


7. Welche Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner haben Opfer homo-, trans- oder queerfeindlicher Straftaten bei den Polizeibehörden und/oder Staatsanwaltschaften?

Mit Erlass des Ministeriums für Inneres und Sport vom 21.09.2017 wurden die bis zu diesem Zeitpunkt in jeder Polizeibehörde tätigen Ansprechpersonen (AP) für gleichgeschlechtliche Lebensweisen in Ansprechpersonen für LSBTI (lesbisch, schwul, bisexuell, trans und inter) umbenannt. Zeit-gleich wurde der Leitfaden, der die Aufgaben und Stellung der Ansprechpersonen für LSBTI be-schreibt, aktualisiert.
Gemäß Leitfaden können die AP LSBTI zur Unterstützung der Opfer LSBTI-bezogener Gewalt im Rahmen der polizeilichen Aufgabenstellung hinzugezogen werden. Zudem stehen sie der Bevölke-rung (und Institutionen) beratend zur Verfügung.
Bei den niedersächsischen Staatsanwaltschaften gibt es keine speziellen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für Opfer homo-, trans- oder queerfeindlicher Straftaten.
Die Dezernentinnen und Dezernenten der Staatsanwaltschaften stehen aber im Rahmen ihrer Zuständigkeiten und der tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten allen Opfern von Straftaten - un-abhängig von deren nationaler oder sozialer Herkunft, Religion, Geschlecht, sexueller Ausrichtung, politischer oder sonstiger Anschauung, Zugehörigkeit zu einer Minderheit oder eines sonstigen Status - als Ansprechpartner zur Verfügung und somit selbstverständlich auch Opfern homo-, trans- oder queerfeindlicher Straftaten.
Ferner werden Geschädigte bei Bedarf durch die Staatsanwaltschaften auf die jeweils einschlägigen Opferhilfestellen hingewiesen.
Dies ist beispielweise die 2001 in Niedersachsen durch die Landesregierung errichtete Stiftung Opferhilfe Niedersachsen. Diese leistet Opfern von Straftaten außerhalb der gesetzlichen und über die Hilfe anderer Opferhilfeeinrichtungen hinaus materielle Hilfe. Alle Opfer, auch Opfer homo-, trans- oder queerfeindlicher Straftaten, können sich an die Opferhilfebüros richten, die in allen elf Landge-richtsbezirken vorzufinden sind. Qualifizierte Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen bieten in den regionalen Opferhilfebüros psychosoziale Hilfeleistungen für Opfer von Straftaten und deren Angehörige an.
Die Opfer homo-, trans- oder queerfeindlicher Straftaten haben überdies die Möglichkeit, sich an den Verein Parteiliche Beratung Niedersachsen e. V. „RespAct - Solidarisch mit Betroffenen rechter Gewalt“ zu wenden. Die Beratungsstelle hat ihre Standorte in Hannover sowie Oldenburg und ist niedersachsenweit tätig. Das niedrigschwellige und aufsuchende Beratungsangebot von RespAct umfasst psychosoziale Beratung und Krisenintervention, Begleitung bei Behördengängen und Arzt-besuchen, Unterstützung bei der Suche nach Anwälten und Psychotherapeuten, gegebenenfalls Vermittlung an andere spezifische Beratungseinrichtungen.

8. In welcher Art und Weise werden Polizistinnen und Polizisten zum Thema Homo-, Trans- und Queerfeindlichkeit geschult und sensibilisiert?

Bereits im Rahmen des Bachelorstudienganges an der Polizeiakademie Niedersachsen (PA NI) werden die Studierenden sowohl hinsichtlich der Thematik Homo-, Trans- und Queerfeindlichkeit geschult als auch im Hinblick auf den Umgang mit Menschen, welche für sich eine nicht hetero-normative Lebensform gewählt haben, intensiv sensibilisiert.
Fragen der sexuellen Orientierung und der gesellschaftlichen Akzeptanz unterschiedlicher sexueller Orientierungen sind zwar kein direkter Gegenstand des Curriculums des Bachelorstudienganges an der PA NI, werden jedoch gleichwohl in verschiedensten Teilmodulen aufgegriffen und thematisiert. Insgesamt zielen insbesondere die sozialwissenschaftlichen Unterrichtsinhalte auf eine tolerante und vorurteilsfreie Haltung der Studierenden der PA NI ab.
So werden die Studierenden beispielsweise im Teilmodul „Faires Verhalten am Arbeitsplatz“ in Form eintägiger Trainings dahin gehend sensibilisiert, dass jegliche Form von sexueller Belästigung und Mobbing inakzeptabel ist und dass die Schaffung einer diskriminierungsfreien Arbeitsumge-bung eine der wesentlichen Voraussetzungen für eine produktive Zusammenarbeit ist. Ergänzend dazu wird im Teilmodul „Grundlagen der Psychologie“ u. a. die soziale Wahrnehmung thematisiert. Die Diskussion über die Entstehung, Wirkung und Vermeidung von Vorurteilen ist hierbei ein zent-raler Aspekt. Die Studierenden sollen gezielt dazu angeregt werden, gegebenenfalls bestehende eigene Vorurteile bewusst kritisch zu hinterfragen, um somit vorurteilsfreie zwischenmenschliche Begegnungen auch im Kontakt zum Bürger zu gewährleisten. Vorurteile gegen Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung werden hierbei in beiden Teilmodulen aufgegriffen und entsprechend thematisiert.
Über die vorstehend bereits genannten Teilmodule hinaus wird die Thematik Homo-, Trans- und Queerfeindlichkeit auch individuell in weiteren Modulen, wie beispielsweise im Rahmen des Kommunikations- und Konflikttrainings im ersten Studienjahr, angesprochen.
Alle AP LSTBI der Polizei wurden als Beraterinnen und Berater qualifiziert und werden fortlaufend fortgebildet.

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