Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort:Wie gedenkt die Landesregierung mit dem strukturellen Problem der „Abschulung“ umzugehen?

 

Vorbemerkung der Abgeordneten

Für die niedersächsischen Gymnasien sind hohe Anmeldezahlen in den 5. Jahrgängen bekannt. Doch nicht alle Schülerinnen und Schüler erreichen an Gymnasien eine durchgehende Bildungs-laufbahn - nach einer nicht erfolgten Versetzung („Sitzenbleiben“) heißt dies oft, dass Schülerinnen und Schüler im Laufe ihrer Sek I-Schullaufbahn vom Gymnasium auf eine Oberschule/HRS oder eine Gesamtschule (IGS/KGS) überwiesen werden („Abschulung“).
In der Folge sind die 5. Jahrgänge in den Gymnasien und die Jahrgänge 7 bis 10 in den Gesamt- und Oberschulen stark ausgelastet, in den jeweils anderen Stufen der Schulformen ist die Auslas-tung deutlich geringer. Es müssen somit zusätzliche Schulplätze vorgehalten werden - der Fachbe-reich Schule der Landeshauptstadt Hannover bestätigt, „dass die Schulträgerin eine beträchtliche Zahl von Schulplätzen effektiv ‚doppelt‘ vorhalten müsste“ (Kommunaler Schulentwicklungsplan 2019 der Landeshauptstadt Hannover, Seite 14).
Die nachfolgenden Fragen beziehen sich jeweils auf den Sekundarbereich I der öffentlichen allge-meinbildenden Schulen ohne Grund- und Förderschulen.
Vorbemerkung der Landesregierung
In Niedersachsen gilt bei der Auswahlentscheidung für eine weiterführende Schulform der freie El-ternwille. Nach Abschaffung der Orientierungsstufe zum 31.07.2004 und der Schullaufbahnempfeh-lung durch die Grundschulen im Jahr 2016 ist vor der Wechselentscheidung ausschließlich eine Beratung der Eltern durch die Lehrkräfte an den Grundschulen vorgesehen. Es ist verständlich, dass Eltern für ihre Kinder den höchsten bzw. vermeintlich besten Schulabschluss anstreben. Infol-gedessen kann sich durch die Entscheidung der Eltern eine Über- oder Unterforderung des Kindes ergeben, wodurch es wiederum zu Schul- bzw. Schulformwechseln kommen kann. Durch die im Berufsleben der Eltern geforderte Mobilitätsbereitschaft und aufgrund von Wanderungsbewegun-gen in Teilen der Bevölkerung können sich ebenfalls Gründe für Schulwechsel von Schülerinnen und Schülern ergeben.
Die in der Anfrage verwendete Begriffe „Abschulung“ und „Sitzenbleiben“ finden weder im Schulge-setz (NSchG) noch in den entsprechenden untergesetzlichen Regelungen Verwendung. Es handelt sich um negativ konnotierte umgangssprachliche Bezeichnungen. In der einschlägigen Verordnung über den Wechsel zwischen Schuljahrgängen und Schulformen allgemeinbildender Schulen (WeSchVO) wird ausschließlich vom Wechsel an eine Schule einer anderen geeigneten Schulform, dem sogenannten Prinzip der Durchlässigkeit, und einer Versetzung bzw. Nichtversetzung gesprochen.
In Niedersachsen werden keine Schülerindividualdaten erfasst, daher liegen keine Informationen zum Bildungsverlauf der einzelnen Schülerinnen und Schüler vor.
In der jeweiligen statistischen Erhebung (Stichtag 23.08.2018) wird ein sogenannter Herkunfts-schlüssel erfasst. Hierdurch ist auswertbar, wie viele Schülerinnen und Schüler zu Beginn eines Schuljahres an eine Schule gewechselt sind und an welcher Schulform sie vorher beschult wurden. Erfasst werden jedoch ausschließlich Summendatensätze.
Die individuellen Gründe für den jeweiligen Wechsel können dabei sehr unterschiedlich sein und werden von der Statistik nicht erfasst. So können auch Veränderungen in der örtlichen Schulland-schaft (Errichtung einer Oberschule oder einer Gesamtschule) oder veränderte Schulbezirke zu ei-nem Wechsel der Schulform beitragen.
Für die niedersächsischen Gymnasien gilt:
Die durchschnittliche Quote der von einem öffentlichen niedersächsischen Gymnasien bzw. dem gymnasialen Schulzweig einer öffentlichen KGS an andere Schulformen gewechselten Schülerin-nen und Schüler lag bei rund 0,54 % der Gesamtanzahl der Schülerschaft im Schuljahr 2018/2019. Dieser Wert deckt sich nahezu mit der entsprechenden Quote von rund 0,61 % für das Stadtgebiet Hannover.
Bei der Darstellung der nachstehenden statistischen Daten wurde die Einführungsphase (E-Phase) an G8-Schulen (Gymnasien und nach Schulzweigen gegliederte KGS) dem Sekundarbereich II zu-gerechnet. Die Zahlen aus der gymnasialen Oberstufe sind in den Auswertungen zu den nachste-henden Fragestellungen in der Regel nicht berücksichtigt.
Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass im Rahmen einer Gebietsreform mit Wirkung vom 01.11.2016 der Landkreis Göttingen auch das bis zum 31.10.2016 separat dargestellte Gebiet des ehemaligen Landkreises Osterode/Harz umfasst. Insofern sind die Zahlenangaben zum Landkreis Göttingen von vor dem 01.11.2016 und denen danach nur bedingt vergleichbar.


1. Wie viele Schülerinnen und Schüler sind - in den letzten fünf Schuljahren - im Sinne der Verordnung über den Wechsel zwischen Schuljahrgängen und Schulformen allgemein-bildender Schulen von den Gymnasien, den Integrierten Gesamtschulen und den Real-schulen an andere Schulformen gewechselt (bitte landesweit sowie nach Landkreisen, kreisfreien Städten und Region Hannover auflisten nach abgebender Schulform mit Darstellung des Schülerinnen- und -schülerstroms zu aufnehmenden Schulformen im jeweiligen Schuljahr)

Die erfragten Daten werden in Dateiform in der Anlage zu Frage 1∗) übermittelt.
Die Darstellung erfolgt getrennt für die Stichtage der Jahre 2014 bis 2018. Es wird für das jeweilige Jahr die Anzahl der Schulformwechsel von einem Gymnasium, von einer Gesamtschule bzw. von einer Realschule zu einer anderen Schulform in Tabellenform nach Schuljahrgängen aufgeteilt dar-gestellt. In den weiteren Tabellenblättern erfolgen die entsprechenden Angaben für jeden Landkreis und jede kreisfreie Stadt in Niedersachsen. Bei der Bewertung ist zu berücksichtigen, dass nicht in jedem Kreis oder jeder kreisfreien Stadt alle Schulformen vertreten sind.


2. Falls zu Frage 1 keine Daten vorliegen: Wie erlangt die Landesregierung Kenntnis dar-über, ob in Bezug auf die Einleitung und unter Frage 1 beschriebene Systematik Handlungsbedarf besteht oder nicht?

Die entsprechenden Daten sind Anlage zu Frage 1 enthalten. Es wird zur weiteren Beantwortung der Frage auf die Vorbemerkung der Landesregierung und auf die Antwort zu Frage 8 verwiesen.


3. Welche Anzahl von Schülerinnen und -schüler hatten - in den letzten fünf Schuljahren - jeweils die Schulformen der weiterführenden Schulen in den jeweiligen Jahrgängen 5, 6, 7, 8, 9 und 10 (bitte auflisten: landesweit sowie nach Landkreisen, kreisfreien Städte und Region Hannover dargestellt nach Schuljahrgang 2014/2015 aufwachsend bis heute, Schuljahrgang 2015/2016 aufwachsend bis heute usw.) besucht?


Es wird zur Beantwortung auf die beigefügte Anlage zu Frage 3 verwiesen. Dargestellt werden jeweils die Anzahl der Schülerinnen und Schüler in den gewünschten Schuljahrgängen und Schul-formen zu den Stichtagen der Jahre 2014 bis 2018.
Bei der Bewertung der dargestellten Ergebnisse ist zu berücksichtigen, dass nicht in jedem Kreis oder jeder kreisfreien Stadt jeweils alle Schulformen vertreten sind.


4. Wie stellt sich die Anzahl der Klassen an den unterschiedlichen Schulformen - in den letzten fünf Schuljahren - dar (bitte auflisten: landesweit sowie nach Landkreisen, kreisfreien Städte und Region Hannover, sortiert nach der jeweiligen Schulform)?

Die erfragten Daten werden in Dateiform in der Anlage zu Frage 4 übermittelt.
5. In welcher Zahl wurden an welchen Schulformen - in den letzten fünf Schuljahren - Ausnahmegenehmigungen für abweichende Klassengrößen gemäß Runderlass „Klas-senbildung und Lehrkräftestundenzuweisung an den allgemeinbildenden Schulen“ er-teilt (bitte auflisten: landesweit sowie pro Landesschulbehördenbezirk, sowie in den kreisfreien Städten Hannover, Oldenburg, Göttingen, Lüneburg und Osnabrück, sortiert nach der jeweiligen Schulform; je Schuljahr)?
Aus unterschiedlichen Gründen kann die tatsächliche Klassenbildung in einem Schuljahrgang von den grundsätzlichen Regelungen des Klassenbildungserlasses entsprechend der Teilungsgrenze abweichen. Ausnahmegründe finden sich in den Nummern 3.3, 3.4, 3.5 und 3.6 des Erlasses. Um für die Berechnung der Soll-Klassen die genehmigte abweichende Klassenbildung zu berücksichti-gen, ist der betreffende Schuljahrgang mit einem sogenannten Klassenbildungsmerkmal zu verse-hen.
Klassenbildungsmerkmal „A“: Zusätzliche Klasse gebildet gemäß Nr. 3.6 Klassenbildungserlass
Die Schulbehörde genehmigt auf Antrag für einen Schuljahrgang die Bildung einer zusätzlichen Klasse, weil der Anteil mindestens 40 % in einem Jahrgang an
– Schülerinnen und Schülern mit Sprachförderbedarf in Deutsch als Zweitsprache,
– Schülerinnen und Schülern mit besonderen Lernerschwernissen, nachgewiesenen gesundheit-lichen Schwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten
beträgt. Der zusätzliche Bedarf wird auf das Kontingent für Sprachfördermaßnahmen und/oder Förderkonzepte angerechnet.
Klassenbildungsmerkmal „B“: Weniger Klassen als möglich gebildet gemäß Nr. 3.3 Abs. 2 Klassenbildungserlass
Wird die Schülerhöchstzahl in den Schuljahrgängen 1 und 5 sowie in der Einführungsphase um bis zu einer Schülerin oder einen Schüler je Eingangsklasse überschritten, wird im Statistikprogramm automatisch ein „B“ gesetzt. Die Schulbehörde entscheidet bei der Überprüfung der Daten, ob das „B“ bestehen bleibt.

Klassenbildungsmerkmal „E“: Mehr Klassen als möglich gebildet gemäß Nr. 3.3 Abs. 1 Klassenbildungserlass
Werden im Laufe des Schuljahres aufgrund gesicherter zahlenmäßig belegter Informationen zu-sätzlich Schülerinnen und Schüler aufgenommen, die zur Einrichtung einer zusätzlichen Klasse führen würden, kann die Schulbehörde auf Antrag der Schule ein „E“ setzen.
Klassenbildungsmerkmal „R“: Weniger Klassen als möglich gebildet gemäß Nr. 3.3 Abs. 1 Klassenbildungserlass
Verringert sich im Laufe des Schuljahres aufgrund gesicherter zahlenmäßig belegter Informationen die Schülerzahl in größerem Umfang als bei „B“-Klassen, die nach der Schülerhöchstzahl zur Zu-sammenlegung von Klassen führen würde, kann durch die Schulbehörde ein „R“ gesetzt werde.
Klassenbildungsmerkmal „W“: Weniger Klassen als möglich gebildet gemäß Nr. 3.5 Klassenbil-dungserlass
Wird zugunsten von mehr Förder- und Differenzierungsmaßnahmen innerhalb eines Schulganges eine Klasse weniger gebildet, ist ein „W“ zu setzen. Das Klassen-Soll und damit der Bedarf an Lehrkräftestunden verringern sich dadurch nicht.
Klassenbildungsmerkmal „X“: Beibehaltung einmal gebildeter Klassen gemäß Nr. 3.4 Klassenbildungserlass
In der Regel sollen einmal gebildete Klassen mit wenigen Ausnahmen nur alle zwei Jahre verändert werden. Vermindert sich bei zurückgehenden Schülerzahlen die vorher nach der Schülerhöchstzahl zulässige Klassenzahl um eine Klasse, so kann ein „X“ gesetzt werden. Hierfür müssen die Klassen zuvor jedoch nach der Schülerhöchstzahl gebildet worden sein.
Es wird zur weiteren Beantwortung auf die Anlage zu Frage 5 verwiesen.


6. Welche zusätzlichen Kosten entstehen dem Land Niedersachsen durch die Mechanismen der nicht erfolgten Versetzung („Sitzenbleiben“, § 59, Abs. 4, Satz 1 NSchG) bzw. das freiwillige Zurücktreten gemäß „Verordnung über den Wechsel zwischen Schuljahrgängen und Schulformen der allgemeinbildenden Schulen“ (WeSchVO § 11, im Fol-genden „Wiederholung“) sowie den Wechsel an andere Schulformen (Überwei-sung/“Abschulung“), die dazu führen, dass die Schulträgerinnen zusätzliche Schulplät-ze an den jeweiligen Schulformen vorhalten müssen (bitte getrennt nach „Sitzenblei-ben“ bzw. „Wiederholung“ und „Abschulung“ darstellen)?

In Niedersachsen besteht grundsätzlich Schulpflicht, sodass für die schulpflichtigen Schülerinnen und Schüler die entsprechenden Plätze bedarfsgerecht an den verschiedenen Schulformen und Schulen mit den notwendigen Lehrkräften vorgehalten werden. Die Anzahl der Schülerinnen und Schüler ist u. a. demografisch bedingt stärkeren oder weniger starken Schwankungen unterworfen, die in der Lehrkräftebedarfsplanung der Landesregierung möglichst genau zu berücksichtigen sind.
Die konkreten Gründe für bedarfsgerechte Änderungen der Klassenbildung zum Beginn eines Schuljahres an einzelnen Schulen werden statistisch nicht erfasst. Darüber hinaus hat die Landesregierung keine Kenntnis darüber, ob es durch die in der Frage dargestellten Maßnahmen gemäß WeSchVO gegebenenfalls zu einer zusätzlichen Klassenbildung und dadurch eventuell zu Mehrkosten kommt.
Es wird zur weiteren Beantwortung der Frage auf die Antwort zu Frage 8 verwiesen.

7. Wie viele Vollzeiteinheiten (VZE) wendete das Land - in den letzten fünf Schuljahren - für die Mechanismen die einen Schulformwechsel bedingen auf (bitte getrennt nach „Sitzenbleiben“ bzw. „Wiederholung“ und „Abschulung“ darstellen und differenzieren nach Soll- und Ist-Stunden-Zahl, sollte das nicht möglich sein, bitte allgemein beziffern)?

Es wird auf die Antwort zu Frage 6 verwiesen.


8. Sieht die Landesregierung beim Thema „Abschulung“ und „Sitzenbleiben“ bzw. „Wiederholung“ Handlungsbedarf? Wenn ja, welchen? Wenn nein, warum nicht?

Entscheidungen der Schule über Versetzung, Nichtversetzung oder Überweisung von Schülerinnen und Schülern sind als wesentliche Entscheidungen des individuellen Bildungswegs anzusehen, die durch Gesetz oder aufgrund gesetzlicher Ermächtigung durch Rechtsverordnung zu regeln sind (BVerwG, Urt. vom 14.07.1978, DÖV 1978 S. 840).
Entsprechende Regelungen sind in § 59 Abs. 4 NSchG sowie in der „Verordnung über den Wech-sel zwischen Schuljahrgängen und Schulformen allgemeinbildender Schulen“ (WeschVO) vom 03.05 2016 (Nds. GVBl. S. 82), zuletzt geändert durch Art. 2 der VO vom 01.11. 2018 (Nds. GVBl. S. 234), - VORIS 22410 - enthalten.
Die Entscheidung der Klassenkonferenz über die Versetzung hängt grundsätzlich davon ab, ob eine erfolgreiche Mitarbeit im nächsthöheren Schuljahrgang erwartet werden kann. Die Versetzung setzt nach § 59 Abs. 4 Satz 1 NSchG zwingend voraus, dass die vorgeschriebene Erfolgsprognose zugunsten der Schülerin oder des Schülers erfolgt. Dies gilt auch, wenn die Ausgleichsregelungen in § 5 Abs. 2 WeSchVO, § 9 Abs. 3 der Verordnung über die gymnasiale Oberstufe und § 11 Abs. 3 der Verordnung über das Abendgymnasium und das Kolleg angewendet werden oder eine Nach-prüfung gemäß §§ 7 bis 9 WeSchVO zugelassen wird.
Die Klassenkonferenz hat gemäß § 59 Abs. 4 Satz 3 NSchG bei einer leistungsbedingten Überwei-sung an eine geeignete Schulform bei mehrfacher Nichtversetzung einen Ermessensspielraum. Dieser ermöglicht es, eventuelle Besonderheiten in der Entwicklung der betroffenen Schülerinnen und Schüler miteinzubeziehen.
Jede der genannten Entscheidungen erfordert somit eine pädagogische Prognoseentscheidung der Klassenkonferenz, der hierfür pädagogische Beurteilungsspielräume zur Verfügung stehen. Aus Sicht der Landesregierung gehen die Schulen mit diesen Beurteilungsspielräumen pädagogisch verantwortungsbewusst um. Die Landesregierung sieht deshalb keinen Handlungsbedarf in Bezug auf die in der Frage genannten Themen.

 

Umfangreiche Anhänge zu der Beantwortung durch die Landesregierung finden Sie in der Drucksache oben rechts.

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