Kleine Anfrage zur kurzfristigen schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung:Ungereimtheiten bei der Auftragsvergabe für Maskenlieferungen durch das insolvente Unternehmen Vonmählen?

Vorbemerkung der Abgeordneten

Die Neue Osnabrücker Zeitung berichtete am 20.03.2021:
„Das Land Niedersachsen hat Ärger mit einer mehrere Millionen OP-Masken umfassenden Lieferung aus China. Der Lieferant fiel zuvor schon in anderen Bundesländern negativ auf.

Als die Corona-Pandemie Deutschland erreichte, witterten viele Unternehmen ein Geschäft mit Schutzmasken. Auch das Startup Vonmählen wollte mitmischen. Der Ausflug in den Gesundheitssektor endete mit einer wirtschaftlichen Bruchlandung, das Unternehmen ist insolvent. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nach zwei Anzeigen. Der Ärger mit Masken des Unternehmens hält an.

Das niedersächsische Gesundheitsministerium bestätigte unserer Redaktion und der Landeszeitung für Lüneburg Probleme mit einer Lieferung mehrerer Millionen OP-Masken. Es müsse bei der Kennzeichnung auf den Verpackungen nachgebessert werden, hieß es aus Hannover. Die rechtlichen Anforderungen seien nicht erfüllt. Es sei nur der chinesische Hersteller auf den Kartons vermerkt, nicht aber der Ansprechpartner in Europa. Zudem fehlten Gebrauchs- und Sicherheitshinweise auf den Kartons.

Nun wird im großen Stil nachgeklebt. Wohin die Masken geliefert wurden, ließ das Ministerium zu- nächst offen. Den Angaben zufolge waren die insgesamt 10 Millionen Masken zum Preis von 6,9 Millionen Euro beim Unternehmen Vonmählen gekauft worden. Das bestätigt auf Nachfrage die Probleme. Man habe mit dem Land Niedersachsen darüber gesprochen, heißt es aus Lüneburg.“

Zu den Kontakten ins Wirtschaftsministerium schrieb die Neue Osnabrücker Zeitung im gleichen Artikel:

„Im Hintergrund hatte Vonmählen noch versucht, über politische Kontakte die Pleite abzuwenden. Das Wirtschaftsministerium in Hannover bestätigte, dass sich das Unternehmen im Sommer 2020 in Hannover wegen der vom Bund ausstehenden Bezahlung für 3,9 Millionen Masken gemeldet habe. Die Lage sei als existenzbedrohend geschildert worden, teilt ein Ministeriumssprecher mit. ‚Das niedersächsische Wirtschaftsministerium hat daraufhin auf Arbeitsebene gegenüber dem Bundesgesundheitsministerium darum gebeten, sich den Vorgang noch einmal anzuschauen.‘“

Laut dem zitierten Artikel hat das Unternehmen Vonmählen zudem an der Digitalkonferenz der Landesregierung zum Thema „Mehr Schutzmasken made in Niedersachsen“ teilgenommen. Aus den bei der Europäischen Union veröffentlichten Ausschreibungsunterlagen (2020/S 138-339174) geht hervor: Für die entsprechende Ausschreibung des Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung gab es nur ein Angebot.

Vorbemerkung der Landesregierung

Anfang März 2020 wurde der erste COVID-19-Fall in Niedersachsen verzeichnet. Im April 2020 war der Bedarf an persönlicher Schutzausrüstung (PSA) im gesamten Bundesgebiet extrem hoch und es bestand eine akute Mangellage. Ausweislich des RKI-Lageberichts vom 16. April 2020 gab es in Deutschland 130 450 laborbestätigte COVID-19-Fälle, darunter 3 569 Todesfälle im Zusammenhang mit COVID-19-Erkrankungen. Bei der geografischen Verteilung lag Niedersachsen zu diesem Zeitpunkt an bundesweit vierter Stelle der labordiagnostisch bestätigten Fälle (hinter Bayern, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg). Ende März bzw. Anfang April hat die Bundesregierung zusammen mit den Ländern erste Maßnahmen in die Wege geleitet, um dem extrem hohen Bedarf an PSA auch nur ansatzweise nachkommen zu können. Der Bedarf an PSA wie Desinfektionsmittel und medizinischen Masken war bundesweit enorm. Insbesondere die Versorgung der Krankenhäuser und Rettungsdienste hatte in Niedersachsen hohe Priorität.

Dabei kamen von Beginn an auch die Vorhaltungen und Einrichtungen des niedersächsischen Katastrophenschutzes auf örtlicher und Landesebene zum Einsatz. Das gilt insbesondere für das im Anschluss an die Flüchtlingskrise eingerichtete Landeszentrallager für den Katastrophenschutz mit den angeschlossenen Logistikeinheiten, die zusammen u. a. auch die Verteilung von PSA im Rahmen der Amtshilfe übernommen haben. Die ersten PSA-Bestände zur Verteilung im Rahmen subsidiärer Amtshilfe im März 2020 stammten aus der Vorhaltung für den Katastrophenschutz im Umfeld kern- technischer Anlagen, die seit der Übernahme dieser Aufgabe durch das Land aufgebaut worden ist. Die Vorhaltung der PSA für den Katastrophenschutz im Umfeld kerntechnischer Anlagen wurde zwischenzeitlich wieder auf den ursprünglichen Stand gebracht.

Das Land hatte die Beschaffung von PSA mit Unterstützung des Kompetenzzentrums für Großschadenslagen (KomZ) organisiert und dort eine eigene Beschaffungseinheit eingerichtet. Die Liste dringend benötigter Schutzartikel war lang. Zum Zeitpunkt April wurde vom KomZ der Dreimonatsbedarf für das Gesundheitswesen abgefragt. Hieraus ergab sich ein Bedarf von 500 000 Schutzbrillen, je 5 Millionen FFP2- und FFP3-Atemschutzmasken, 4,5 Millionen Schutzkitteln und 2,5 Millionen Schutzanzügen, aber auch 400 000 Litern Desinfektionsmittel für Oberflächen und Hände. Aufgrund der dynamischen Entwicklung der Lage unterlag jedoch diese Bedarfsermittlung noch großen Unsicherheiten.

1. Durch wen wurde wie und wann der Kontakt zu dem Unternehmen Vonmählen hergestellt?

Die Vonmählen GmbH ist durch ihren CEO erstmals am 19. März 2020 per E-Mail mit dem Angebot der Beschaffung von Schutzmasken eigeninitiativ an Wirtschaftsminister Dr. Althusmann herangetreten. In dieser E-Mail schrieb der CEO, dass er die Kontaktdaten durch den Lüneburger Unternehmer Georg Havemann erhalten habe. Die Vonmählen GmbH stand zuvor noch nicht mit dem Minister in Kontakt. Das Angebot wurde in Ermangelung einer originären eigenen Zuständigkeit und Prüfungskompetenz für die Zertifizierung und Beschaffung von Masken mit E-Mail vom 20. März 2020 an das zuständige Kompetenzzentrum des MI sowie das MS weitergeleitet. Nach der Erinnerung von Minister Dr. Althusmann haben ihn auch weitere Personen aus dem politischen Raum ergänzend auf das Angebot des Unternehmens hingewiesen. Eine verlässliche und vollständige Rekonstruktion dieses Personenkreises ist dem Minister aus seiner Erinnerung nach mehr als einem Jahr nicht mehr möglich, auch aus dem Terminkalender des Ministers ergeben sich dazu keine Informationen.

Das KomZ hat auf dieser Grundlage Kontakt hinsichtlich detaillierter Angaben mit der Vonmählen GmbH aufgenommen. Die Kontaktaufnahme erfolgte per Telefon sowie per E-Mail.

2. Durch wen und aus welchen Gründen wurde das Unternehmen Vonmählen zu der Digitalkonferenz „Mehr Schutzmasken made in Niedersachsen“ der Landesregierung eingeladen?

Zu der Digitalkonferenz am 16. April 2020 wurden im Namen von Ministerin Dr. Reimann und Minister Dr. Althusmann gemeinschaftlich per E-Mail des Ministerbüros des Wirtschaftsministeriums elf niedersächsische Unternehmen eingeladen, von denen zu der Zeit bekannt war, dass bereits Produktion oder Interesse an einer Produktion von persönlicher Schutzausrüstung (u. a. Masken, OP-Kittel, Handschuhe, Schutzschuhe, Desinfektionsmittel) in Niedersachsen bestand. Die Vonmählen GmbH war eines dieser Unternehmen. Für Ministerin Dr. Reimann und Minister Dr. Althusmann ging es angesichts der in der Vorbemerkung dargestellten dramatischen Ausgangslage im April 2020 darum, kurzfristig mehr Schutzausrüstung in Niedersachen herzustellen und zu beschaffen sowie den Auf- bau eines niedersächsischen Netzwerks für die Produktion von PSA voranzubringen.

Eine Auswahl der Teilnehmer der Konferenz erfolgte am 14. April 2020 durch das zuständige Branchenreferat des MW in Abstimmung mit dem MS. Die Auswahl der Teilnehmer an der Konferenz zur PSA erfolgte durch eine ausgewogene Abwägung sachlicher und fachlicher Kriterien. Danach wurden durch das Branchenreferat bereits bekannte Unternehmen ebenso ausgewählt wie Unternehmen, die sich medial zur geplanten Umrüstung von Produktionslinien geäußert hatten.

3. Welche Aufträge mit welchem Volumen wurden zu welchem Zeitpunkt von wem durch die Niedersächsische Landesregierung im Bereich von medizinischen Schutzmasken vergeben?

Folgende Aufträge haben Teile der Landesregierung vergeben: (Tabelle in Drucksache nachzulesen, verlinkt oben rechts)

- Anfrage Teil II -

1. Waren dem Land zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe die Beanstandungen anderer Bundesländer an Lieferungen des Unternehmens Vonmählen bekannt?

Nein, derartige Beanstandungen anderer Bundesländer waren der Landesregierung nicht bekannt.

2. Wie und zu welchem Zeitpunkt war der Wirtschaftsminister in die Vorgänge eingebunden?

Die Vonmählen GmbH ist durch den CEO erstmals am 19.03.2020 per E-Mail mit dem Angebot der Beschaffung von Schutzmasken eigeninitiativ an Wirtschaftsminister Dr. Althusmann herangetreten. Das Angebot wurde in Ermangelung einer originären eigenen Zuständigkeit und Prüfungskompetenz für die Zertifizierung und Beschaffung von Masken mit E-Mail vom 20.03.2020 an das zuständige Kompetenzzentrum des MI sowie das MS weitergeleitet.

Im Nachgang der Digitalkonferenz vom 16.04.2020 wandte sich der Executive Assistant des CEO der Vonmählen GmbH am 16.04.2020 per E-Mail an Minister Dr. Althusmann und die damalige Persönliche Referentin des Ministers. Dazu übermittelte er ein Schreiben mit einem Beitrag, den Vonmählen für die Beschaffung von Atemschutzmasken leisten könne (Angebot zur „Bereitstellung von 2 Millionen hochwertigen und dem europäischen Sicherheitsstandard entsprechenden FFP2-Masken zur Abholung in China“). Diese E-Mail wurde am 17.04.2020 durch die damalige Persönliche Referentin des Ministers zur weiteren Veranlassung an das zuständige Branchenreferat des Wirtschaftsministeriums und von dort noch am selben Tag per E-Mail an das für Beschaffung zuständige MI- Kompetenzzentrum mit dem Hinweis auf das Angebot des Unternehmens mit der Bitte um entsprechende Übernahme des Vorgangs in eigener Zuständigkeit weitergeleitet.

Am 23./24.03.2020 hat sich der CEO der Vonmählen GmbH telefonisch bzw. per E-Mail erneut an den Minister gewandt, um grundsätzliche Förder- und Finanzierungsmöglichkeiten zu klären und mitzuteilen, dass eine Kontaktaufnahme durch die NBank noch nicht erfolgt sei. Die Anfrage wurde an die zuständigen Stellen zur Bearbeitung weitergeleitet. Ergänzend ist hier festzustellen, dass auf Nachfrage vom 09.04.2021 die NBank mitgeteilt hat, das Unternehmen sei im dortigen EDV-System nicht bekannt; demnach hat es keinen Förderantrag an die NBank gegeben. Nach Auskunft des Förderreferats des MW hat das Unternehmen auch keinen Antrag auf eine Landesbürgschaft gestellt.

Die Vonmählen GmbH war zudem eines von elf teilnehmenden Unternehmen einer Videokonferenz unter Leitung von Sozialministerin Dr. Reimann und Wirtschaftsminister Dr. Althusmann über die Beschaffung von PSA am 16.04.2020.

Der Wirtschaftsminister war zu keinem Zeitpunkt in die Vorgänge der Beschaffung und Auftragsvergabe eingebunden. Die Auftragsvergabe, die Auswahl der Unternehmen und weitere Fragen in diesem Zusammenhang erfolgten durch MS/MI.

Der Wirtschaftsminister hat am 12.05.2020 im Nachgang zur Videokonferenz vom 16.04.2020 zur Beschaffung von Schutzausrüstung in einem Ministerschreiben an alle teilnehmenden Unternehmen konkret und explizit darauf hingewiesen: „Alle konkreten Angebote Ihrerseits, die uns bekannt waren bzw. im Nachgang von Ihnen übermittelt wurden, haben wir an die zentrale Beschaffungsstelle des Landes weitergegeben.“

3. Wer aus der Landesregierung hat sich wann in welcher Form bei welchen Vertreterinnen und Vertretern der Bundesregierung oder Verwaltung des Bundes für das Unternehmen Vonmählen eingesetzt?

Minister Dr. Althusmann hat am 23.07.2020 nach dem letzten Kontakt vom 16.04.2020 eine E-Mail des CEO der Vonmählen GmbH erhalten. Das Unternehmen weist darin darauf hin, dass es sich aufgrund sich verzögernder/fehlender Zahlungen des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) in Liquiditätsschwierigkeiten befinde und sich gezwungen sehe, ohne Zahlungseingang in den ersten Augustwochen Insolvenz anmelden zu müssen. Der CEO bat mit folgendem Wortlaut um Hilfe: „Das gesamte Vonmählen Team zählt auf Sie, denn wir haben andernfalls keine Informationsmöglichkeit in Richtung des Bundesministeriums für Gesundheit“.

Wie für jedes andere Unternehmen in Niedersachsen auch, bei dem der Verlust einer größeren Zahl von Arbeitsplätzen - in diesem Fall rund 70 - auf dem Spiel steht, ließ Minister Dr. Althusmann, der sich zu diesem Zeitpunkt im Sommerurlaub befand, den „Hilferuf“ der Vonmählen GmbH am 24.07.2020 an das BMG und Bundesminister Jens Spahn zur sachlichen und inhaltlichen Überprüfung weiterleiten. Die Übermittlung erfolgte nicht durch die Hausleitung, sondern auf Arbeitsebene durch den Leiter des Ministerbüros an den Ministerbüroleiter von Bundesminister Jens Spahn mit folgendem Wortlaut: „Herr Minister Dr. Althusmann bat mich, die anliegende Mail samt Anhang vertraulich an Ihren/euren Minister weiterzugeben, verbunden mit der Frage und Bitte, ob im vorliegenden Fall geholfen werden und unterstützt werden kann. Wenn hier alles rechtmäßig und gut seitens der Vonmählen GmbH aus Lüneburg erfüllt worden ist, sollte die verzögerte Zahlung schnell erfolgen, um nicht ein junges Startup-Unternehmen in Existenznot zu bringen.“ (...) Um Vertraulichkeit wurde deshalb gebeten, da hier eine Insolvenz eines Unternehmens und damit auch dessen Reputation auf dem Spiel stand. Eine Antwort aus dem BMG erfolgte nicht. 

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