Kleine Anfrage zur kurzfristigen schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung:Reaktionen auf und Konsequenzen aus dem Mordfall Lübcke in Braunschweig

Vorbemerkung der Abgeordneten

Am 20.06.2019 berichteten taz und NDR über Mitglieder der rechtsextremen Gruppierung „Adrenalin Braunschweig“, die sich über den Mord am Kasseler CDU-Regierungspräsidenten Walter Lübcke öffentlich in Internetforen austauschten. Dabei wurde die Mordtat verherrlicht und gelobt. Beide Medien berichteten außerdem, dass der Sprecher des Braunschweiger „Bündnisses gegen Rechts“ immer wieder Anfeindungen und Bedrohungen durch Rechtsextreme ausgesetzt sei. Laut Berichten erklärte er außerdem, dass viele Mitglieder des Bündnisses Straftaten durch Rechtsextreme nicht zur Anzeige brächten, weil sie Angst hätten, dass Nazis auf diese Weise im Strafverfahren an ihre persönliche Daten gelangen könnten.

Vorbemerkung der Landesregierung

Ziel der Landesregierung ist es, dass sich die Menschen in Niedersachsen sicher fühlen.

Die konsequente Bekämpfung sämtlicher Kriminalitätsformen durch die entschlossene Aufklärung und Verfolgung von Straftaten, aber auch durch eine konsequente Gefahrenabwehr und sonstige Präventionsarbeit ist wesentliche und fortwährende Aufgabe von Polizei und Justiz in Niedersachsen.

Im Rahmen der Präventionsarbeit und auch in anlassbezogenen persönlichen Gesprächen wird regelmäßig über die Wichtigkeit der Anzeige von Straftaten aufgeklärt. Durch die Anzeigeerstattung und die (fortbestehende) Aussagebereitschaft von Zeuginnen und Zeugen sowie Opfern werden das Entdeckungsrisiko und die Wahrscheinlichkeit einer Tataufklärung erheblich gesteigert und so zugleich Täterinnen und Täter von der Begehung von Straftaten abgeschreckt. Es ist daher ein großes Anliegen, die Aussagebereitschaft von Zeuginnen und Zeugen sowie Opfern mit allen rechtlich zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu fördern und zu erhalten.

1. Was unternehmen Polizei und Justiz, um die persönlichen Daten von Zeuginnen und Zeugen sowie Opfern von Straftaten im Strafverfahren zu schützen? Was wird unternommen, um beispielsweise zu verhindern, dass im Wege der Akteneinsicht Rechtsextreme an persönliche Adressdaten von Aktiven aus der Zivilgesellschaft kommen?

Für die niedersächsische Polizei und Justiz hat der Schutz der persönlichen Daten von Zeuginnen und Zeugen sowie von Opfern von Straftaten höchste Priorität. Die Erhebung und Speicherung personenbezogener Daten erfolgt nach Maßgabe der geltenden gesetzlichen Bestimmungen. So richten sich die Auskunft über bei Polizei und Justiz gespeicherte Daten sowie deren Versagung streng nach den rechtlichen Bestimmungen.

Eine Möglichkeit zum Schutz persönlicher Daten von Zeuginnen und Zeugen sowie von Opfern von Straftaten bietet § 68 Strafprozessordnung. Grundsätzlich sind Zeugen zwar gemäß § 68 Abs. 1 Strafprozessordnung dazu verpflichtet, im Rahmen von Vernehmungen Angaben über ihren Vor- und Nachnamen, den Geburtsnamen, das Alter, den Beruf und den Wohnort zu machen. Zeugen, die ihre Angaben in der Wahrnehmung ihrer amtlichen Eigenschaft machen, wie z. B. Polizeibeamte, können jedoch statt ihres Wohnortes auch den Dienstort angeben.

Besteht begründeter Anlass zu der Besorgnis, dass durch die Angabe des Wohnortes Rechtsgüter des Zeugen oder einer anderen Person gefährdet werden oder dass auf Zeugen oder andere Personen in unlauterer Weise eingewirkt werde, eröffnet § 68 Abs. 2 Strafprozessordnung die Möglichkeit, dass auch nicht in amtlicher Eigenschaft aussagende Zeugen statt ihres Wohnortes ihren Geschäfts- oder Dienstort oder eine andere ladungsfähige Anschrift nennen. Anlass zur Besorgnis einer Gefährdung kann aufgrund allgemeiner Erkenntnisse oder Erfahrungen bestehen, ohne dass schon konkrete Anhaltspunkte dafür im Einzelfall hervorgetreten sein müssen. Der Zeuge soll auch gemäß § 68 Abs. 4 S. 2 Strafprozessordnung bei der Nennung einer ladungsfähigen Anschrift unterstützt werden. Diese Regelung bezweckt, dem Zeugen bei der Suche nach einer anderen ladungsfähigen Anschrift Hilfe zu leisten; in Betracht kommen insoweit polizeiliche Zeugenschutzstellen und zustellungsbevollmächtigte Opferhilfeeinrichtungen. Die Regelung ist als konkrete Handlungsanleitung für die polizeiliche Praxis gedacht. Dem steht nicht entgegen, dass auch Staatsanwaltschaft und Gericht befugt sind, die Gerichtshilfe zu beauftragen, Zeugen bei der Beschaffung einer anderen ladungsfähigen Anschrift Hilfe zu leisten.

Gemäß § 68 Abs. 3 Strafprozessordnung kann Zeugen darüber hinaus gestattet werden, Angaben zu ihrer Person nicht oder nur über eine frühere Identität zu machen, wenn ein begründeter Anlass zu der Besorgnis besteht, dass durch die Offenbarung der Identität oder des Wohn- oder Aufenthaltsorts des Zeugen Leben, Leib oder Freiheit des Zeugen oder einer anderen Person gefährdet werden. Voraussetzung ist auch hier eine Gefährdungslage, die noch nicht konkretisiert sein muss und die auch auf kriminalistischen Erfahrungen beruhen kann.

Liegen für das mit der Sache befasste Strafverfolgungsorgan - Polizei oder Staatsanwaltschaft - oder das Gericht die genannten Voraussetzungen ersichtlich vor, begründet § 68 Abs. 4 S. 1 Strafprozessordnung die Verpflichtung, den Zeugen darauf hinzuweisen, anstelle seines Wohnortes eine andere ladungsfähige Anschrift angeben zu können bzw. Angaben zur Person verweigern oder nur Angaben über eine frühere Identität machen zu dürfen. Dazu gibt die Polizei obligatorisch das„Merkblatt über Rechte von Verletzten und Geschädigten im Strafverfahren“ an den genannten Adressatenkreis. In diesem Merkblatt wird darüber wie folgt informiert: „Sie müssen bei Ihrer Vernehmung Ihren Namen und Ihre Adresse sagen. Es kann eine Ausnahme gemacht werden, wenn eine besondere Gefährdung vorliegt. Das kann z. B. der Fall sein, wenn Ihnen jemand Gewalt angedroht hat, weil Sie aussagen wollen. Dann müssen Sie Ihre private Anschrift nicht bekannt geben. Sie können stattdessen eine andere Anschrift mitteilen, über die Sie erreicht werden können. Das kann z. B. eine Opferhilfeeinrichtung sein, mit der Sie in Kontakt stehen.“

Die genannten Befugnisse gelten auch noch nach Abschluss der Zeugenvernehmung.

Soweit dem Zeugen gestattet wurde, Daten nicht anzugeben, ist bei Auskünften aus und Einsichtnahmen in Akten gemäß § 68 Abs. 5 Strafprozessordnung sicherzustellen, dass diese Daten anderen Personen nicht bekannt werden, es sei denn, dass eine Gefährdung ausgeschlossen erscheint. In der Praxis erfolgt die Umsetzung, indem Adressdaten - gegebenenfalls auch Identitäten - von Zeugen für die Akteneinsichtnahme geschwärzt werden. Die Unterlagen, die die Feststellung des Wohnortes oder der Identität gewährleisten, werden bei der Staatsanwaltschaft verwahrt und sind erst zu den Akten zu nehmen, wenn die Besorgnis der Gefährdung entfällt.

Polizei und Justiz in Niedersachsen haben Kenntnis von den vorgenannten sowie weiteren strafprozessualen Regelungen des Zeugenschutzes und wenden diese konsequent an, wenn die Besorgnis besteht, dass Zeugen durch die Angabe ihres Wohnortes oder ihrer Identität besonders gefährdet sein könnten.

2. Was haben Polizei und Justiz in Braunschweig aufgrund oben genannter Berichte unternommen, um das Vertrauen zivilgesellschaftlicher Kräfte in Braunschweig in den Rechtsstaat zu stärken?

Polizei und Justiz nehmen jede Form von Kriminalität, insbesondere Drohungen gegen sich für ein demokratisches Miteinander einsetzende Menschen, ernst und stehen nicht aus Anlass oben genannter Berichte, sondern generell für eine konsequente Strafverfolgung, aber auch gleichermaßen für eine effektive Prävention vor Straftaten.

Gleichwohl ist das Bekämpfen politisch motivierter Kriminalität und extremistischer Erscheinungsformen auch eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Die Landesregierung bzw. die zuständigen niedersächsischen Behörden und Einrichtungen unterstützen und führen verschiedene Angebote, Maßnahmen und Projekte durch, die im Speziellen demokratieerziehende Wirkung entfalten, sich gegen extremistisches Gedankengut per se richten und damit im Kern diesen Erscheinungsformen entgegenwirken sollen.

Ergänzend sei angeführt, dass natürlich auch Polizei und Justiz in Braunschweig der Bekämpfung der politisch motivierten Kriminalität hohe Bedeutung zumessen. Solche Taten werden sofort und konsequent unter Ausschöpfung der rechtstaatlichen Mittel verfolgt. Die etablierte enge Zusammenarbeit zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft in Braunschweig stellt dabei sicher, dass alle erforderlichen strafprozessualen Maßnahmen zur Bekämpfung politisch motivierter Kriminalität abgestimmt durchgeführt werden. Unter Einbeziehung der Öffentlichkeit tritt die Polizei zudem durch eine proaktive Medienarbeit den Entfaltungsmöglichkeiten politisch motivierter Kriminalität und dem Extremismus im öffentlichen Raum klar und nachhaltig entgegen.

Durch die konsequente und rechtsstaatliche Strafverfolgung unter Berücksichtigung der in der Antwort zu Frage 1 genannten Möglichkeiten des Zeugenschutzes tragen Polizei und Justiz dazu dabei, das Vertrauen in den Rechtsstaat zu stärken. Wegen eines Kurzvideos, das am 17.06.2019 kurzzeitig ins Internet eingestellt worden war, hat die Staatsanwaltschaft Braunschweig ein Ermittlungsverfahren wegen Bedrohung gegen ein mutmaßliches Mitglied der offenbar inzwischen aufgelösten Gruppierung „Adrenalin Braunschweig“ eingeleitet. Ob auch der Tatbestand des § 140 Strafgesetzbuch (Belohnung und Billigung von Straftaten) erfüllt ist, wird noch zu prüfen sein. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen. Zudem fanden unverzüglich polizeiliche Gefahrenabwehrmaßnahmen statt, wie beispielsweise eine Gefährderansprache. Darüber hinaus wurde im Weiteren seitens der Polizeiinspektion Braunschweig proaktiv eine Kooperation mit dem Opfer gesucht und in diesem Rahmen zugesagt, auch für weitere Gespräche, z. B. auch für einen Dialog mit anderen Vertreterinnen/Vertretern des sogenannten Bündnisses gegen Rechts, zur Verfügung zu stehen.

3. Wie viele Ermittlungsverfahren wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (§ 189 StGB), wegen Belohnung und Billigung von Straftaten (§ 140 StGB) oder ähnlicher Delikte hat die Staatsanwaltschaft Braunschweig wegen oben genannter Internetchats eingeleitet?

Auf die Antwort zu Frage 2 wird verwiesen.

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