Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung :Mutmaßlich rechtsextreme Brandanschläge im Bremer Umland

Vorbemerkung der Abgeordneten

Am 13. Februar 2020 wurde ein nächtlicher Brandanschlag auf das von einem Zuwanderer geführte Restaurant „Martini“ in Syke (Landkreis Diepholz) ausgeübt. In einem angrenzenden Wohnhaus haben zu der Zeit sechs Personen geschlafen, die jedoch rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden konnten. Es wurden außerdem aufgesprühte Hakenkreuze und der Spruch „Ausländer raus“ gefunden. Ähnliche Fälle ereigneten sich in Ganderkesee (Landkreis Rotenburg) und in Gnarrenburg (Landkreis Oldenburg). In Gnarrenburg wurde am 23. Juli der „Hexenkeller“ nachts in Brand gesetzt. In dem Haus haben zwei Personen geschlafen, die rechtzeitig gerettet wurden. In Ganderkesee kam es am 14. Oktober 2020 ebenfalls zu einem nächtlichen Brandanschlag im italienischen Restaurant „Don Gantero“. Auch in diesen Fällen haben die Betreiberinnen und Betreiber einen Migrationshintergrund. Es wurden ebenfalls rechte Symbole wie Hakenkreuze gefunden. Syke und Ganderkesee liegen rund 30 Kilometer auseinander, Ganderkesee und Gnarrenburg rund 70 Kilometer. Ein Tatzusammenhang zwischen den Fällen wurde allerdings nicht festgestellt.

Das Ermittlungsverfahren in Syke wurde inzwischen ohne eine Aufklärung der Straftat eingestellt.

 

1. Haben sich neue Erkenntnisse aus den noch laufenden beiden Ermittlungsverfahren zu den Brandanschlägen in Gnarrenburg und Ganderkesee ergeben (letzter Stand: Drucksache 18/8874, 23.02.2021)?

Im Ermittlungsverfahren zu der schweren Brandstiftung in Gnarrenburg werden die Ermittlungen weiterhin unter Einbeziehung aller möglichen Motivlagen fortgeführt. Neue Erkenntnisse, die weitere Überprüfungen erforderlich machen, ergeben sich hier insbesondere aus Untersuchungsergebnissen des Kriminaltechnischen Instituts des Landeskriminalamtes Niedersachsen.

Das Ermittlungsverfahren zu der Brandstiftung in Ganderkesee wurde inzwischen an die Staatsanwaltschaft Oldenburg abgegeben. Bis dahin haben sich keine neuen Erkenntnisse ergeben.

 

2. Wurde mit Blick auf die Tatsache, dass während der nächtlichen Anschläge in Syke und in Gnarrenburg Personen in den Gebäuden geschlafen haben, Ermittlungsverfahren wegen versuchten Mordes eingeleitet (vgl. Urteil vom BGH 07.06.1994, Az.: 4 StR 105/94)? Wenn nein, warum nicht?

Der Tatbestand der schweren Brandstiftung nach § 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB berücksichtigt den Umstand, dass das angegriffene Gebäude als Wohnung von Menschen dient. Weiterhin schließt § 306 a Abs. 2 StGB den Aspekt der Gefahr einer Gesundheitsschädigung für einen anderen Menschen ein.Bezüglich des Sachverhaltes der schweren Brandstiftung in Syke erfolgte die rechtliche Bewertung in enger Abstimmung mit der zuständigen Staatsanwaltschaft. Es wurde kein Ermittlungsverfahren wegen versuchten Mordes eingeleitet, da zu keiner Zeit eine Gefährdung der im angrenzenden Gebäudekomplex schlafenden Bewohner zu erkennen war.

Da keine Anhaltspunkte für einen Tötungsvorsatz erkannt wurden, lautet auch im Gnarrenburger Ermittlungsverfahren der Tatvorwurf schwere Brandstiftung.

 

3. Gibt es Informationen darüber, dass Personen, die bei der Ermittlung in den Fällen beteiligt waren, in der Vergangenheit Kontakt zur rechten Szene gehabt haben, durch rechte Äußerungen aufgefallen sind, oder vergleichbare Auffälligkeiten?

In allen drei Verfahren liegen keine Hinweise darauf vor, dass an den Ermittlungen beteiligte Personen in der Vergangenheit Kontakt zur rechten Szene hatten oder durch rechte Äußerungen oder vergleichbare Auffälligkeiten aufgefallen sind.

 

4. Gibt es in den betroffenen Landkreisen verstärkt Projekte zur Prävention gegen Rechtsextremismus?

Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus für Demokratie, gefördert durch das im Justizministerium (MJ) angesiedelte Landes-Demokratiezentrum, und ihr professionelles Unterstützungsangebot sind elementarer Bestandteil der Prävention von Rechtsextremismus in Niedersachsen. Die besagten Landkreise fallen in den Zuständigkeitsbereich der Regionalbüros Nord/West und Nord/Ost der Mobilen Beratung.

In den Landkreisen Diepholz und Oldenburg wurden/werden 2021 vom Regionalbüro Nord/West mehrere Fortbildungen und Beratungen durchgeführt. Thematische Schwerpunkte waren u. a. rechtsextreme Bedrohung und Raumergreifung, Reichsbürger, Querdenker/Verschwörungsideologien. Die Anfragen erreichten die Mobile Beratung u. a. von Einzelpersonen, Schulen und kommunalen Einrichtungen. Zudem unterstützt und vernetzt die Mobile Beratung regionale zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure, auch in der betroffenen Region. Hier wurde ein Netzwerk aus verschiedenen zivilgesellschaftlichen Initiativen und Beratungsstellen initiiert, welches sich der Aufarbeitung der Brandanschläge vor Ort widmet, u. a. mittels einer digitalen Podiumsdiskussion im März 2021.

Im Landkreis Rotenburg (Wümme) wurden durch das Beratungsteam (Regionalbüro Nord/Ost) - auch gemeinsam mit der Betroffenenberatung Nord/Ost - Beratungsangebote im Umfeld der von den Brandanschlägen Betroffenen gemacht. Diese führten bisher zu keinem Beratungsfall.

Im Landkreis Diepholz findet die Präventionsarbeit der Polizeiinspektion Diepholz im Rahmen des Austausches mit Behörden und Kommunen sowie in Form der Sensibilisierung von Führungskräften statt. Darüber hinaus werden Informationsgespräche sowie Vorträge durch das Fachkommissariat Polizeilicher Staatsschutz für interne und externe Behörden angeboten und in entsprechenden Fällen der Kontakt zur Präventionsstelle Politisch motivierte Kriminalität des Landeskriminalamtes Niedersachsen vermittelt.

Auch die Polizeiinspektion Delmenhorst/Oldenburg-Land/Wesermarsch arbeitet eng mit den Präventionsräten der Landkreise in ihrem Zuständigkeitsbereich zusammen und nimmt hier insbesondere eine beratende Funktion ein. Dieses gilt ebenfalls für die Schulen, Vereine sowie weiteren Einrichtungen und Institutionen der Landkreise. Aufgrund der anhaltenden Corona-Pandemie werden derzeit jedoch keine eigenen Projekte betrieben. Bei weiter abklingenden Inzidenzwerten soll das bestehende vielfältige Projektangebot der Landkreise in den kommenden Wochen und Monaten erneut fortgesetzt werden.

Die Präventionsarbeit der Polizeiinspektion Rotenburg (Wümme) findet ebenfalls in enger Zusammenarbeit mit den Präventionsräten der Städte und Gemeinden statt. Darüber hinaus werden durch das Fachkommissariat Polizeilicher Staatsschutz grundsätzlich Informationsgespräche angeboten und eigene Veranstaltungen, wie z. B. Schulunterrichte oder Lehrerfortbildungen, durchgeführt. Aufgrund der aktuellen Corona-Pandemie kam es zuletzt jedoch auch hier zu Terminabsagen.

Der Niedersächsische Verfassungsschutz bietet eine Vielzahl von Präventionsmaßnahmen an. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Fachbereichs „Extremismusprävention“ waren in den letzten Jahren verschiedentlich in den hier betroffenen Landkreisen Diepholz, Oldenburg und Rotenburg tätig. Referentinnen und Referenten des Niedersächsischen Verfassungsschutzes führten auf Anfrage beispielsweise eine ganze Reihe von Fortbildungsveranstaltungen in den genannten Landkreisen durch und sensibilisierten beispielsweise Lehrerinnen und Lehrer, aber auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Behörden und Vereinen über Ausprägungen und Entwicklungen innerhalb des Rechtsextremismus sowie zu Radikalisierung und Prävention. Die geführte Wanderausstellung „Gemeinsam gegen Rechtsextremismus“, die insbesondere an Schulen gezeigt wird, war in den Jahren 2016 und 2018 in Syke und im Jahr 2019 in Stuhr zu sehen.

 

5. Was wird als „gefestigte“ rechte Struktur definiert?

Innerhalb der Sicherheitsbehörden wird unterschieden zwischen einerseits weitgehend unstrukturiertem rechtsextremistischen Personenpotenzial mit gegebenenfalls persönlichen Kennverhältnissen und andererseits vorhandenen rechtsextremistischen Strukturen. Unter solchen Strukturen werden zielgerichtete, auf Arbeitsteilung ausgerichtete Kooperationen im Bereich des Rechtsextremismus verstanden. Diese lassen sich weiter u. a. hinsichtlich ihres Organisationsgrades, ihrer Vernetzungsbestrebungen, der Enge der Verbindungen, des Mobilisierungsgrades, des Aktivitätsniveaus und ihrer Handlungsfähigkeit einordnen. Hierunter können beispielhaft rechtsextremistische Parteien, ihre Jugendorganisationen oder aber parteiungebundene Kameradschaften und Aktionsgruppen gefasst werden.

 

6. Gab es im Umland um Bremen und Oldenburg herum seit dem Brandanschlag in Ganderkesee im Oktober 2020 ähnliche, rechts motivierte Anschläge?

Bei dem Ermittlungsverfahren zur Brandstiftung in Ganderkesee liegt bislang kein eindeutiger Nachweis der Motivlage des Täters / der Täterin / der Täter vor.

Weiterhin waren seit Oktober 2020 weder im Bremer noch im Oldenburger Umland Anschläge zu verzeichnen, die eindeutig einer rechten Motivation zugeordnet werden können.

 

7. Plant die Landesregierung, die Fördermittel für die Betroffenenberatung Niedersachen zu erhöhen in Bezug auf den seit 2017 zu verzeichnenden Trend der steigenden Fallzahlen von PMK in Niedersachsen?

Durch die Neuaufstellung der Betroffenenberatung für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt besteht die Möglichkeit, sich seit dem Juli 2020 an die drei Regionalbüros der Betroffenenberatung Niedersachsen zu wenden. Die Hauptstandorte der Regionalbüros befinden sich in Osnabrück (Exil e. V.), Nienburg (CJD e. V.) und Hildesheim (Asyl e. V.). Ziel ist es, Betroffenen entsprechender Übergriffe landesweit einen möglichst niedrigschwelligen Zugang zu professionellen Beratungsstrukturen zu ermöglichen. Die Unterstützungsmöglichkeiten sind vielfältig und werden immer den individuellen Bedürfnissen der Beratungsnehmenden angepasst. Nach Bekanntwerden der Brandanschläge im Bremer Umland und in Anbetracht einer möglichen rechtsgerichteten Tatmotivation hat die Betroffenenberatung Niedersachsen den Betroffenen der Anschläge Beratungsangebote unterbreitet. Dies erfolgte im jeweiligen Zuständigkeitsbereich der Regionalbüros auf verschiedenen Wegen - sowohl telefonisch, postalisch als auch persönlich vor Ort (Näheres siehe hierzu auch Drs. 18/8874).

In Anbetracht der rechtsextremistischen Gefährdungslage wurden den drei Trägern in 2021 bereits mehr Mittel zur Aufstockung von Personal, zum Ausbau der Öffentlichkeitsarbeit und für den Aufbau der Onlineberatung aus dem Bundesprogramm „Demokratie leben!“ über das Landes-Demokratie-zentrum im MJ bereitgestellt. Aufgrund der in 2021 bereits aufgestockten Bundesmittel von insgesamt bis zu 99 000,00 Euro ist für 2022 derzeit keine weitere Erhöhung der Fördermittel für die Betroffenenberatung Niedersachsen vorgesehen. Die Aufstockung durch die Bundesmittel im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ beträgt somit pro Regionalbüro 33 000,00 Euro.

Die Höhe der eingesetzten Bundesmittel liegt durch die erfolgte Aufstockung bei insgesamt 213 000,00 Euro, dies entspricht pro Träger 71 000,00 Euro. Die Höhe der eingesetzten Landesmittel beträgt jährlich weiterhin insgesamt 186 000,00 Euro, dies entspricht pro Träger 62 000,00 Euro.

Die Gesamtfinanzierung der Betroffenenberatung Niedersachen aus Landes- und Bundesmitteln liegt derzeit bei insgesamt bis zu 399 000,00 Euro. Pro Träger werden damit bis zu 133 000,00 Euro an Fördermitteln in 2021 bereitgestellt.

Ausweislich des Jahreslagebildes 2020 des Landeskriminalamtes Niedersachsen „Politisch motivierte Kriminalität in Niedersachsen“ kann nicht generell von einem Trend der steigenden Fallzahlen der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) in Niedersachsen gesprochen werden. Vielmehr ist von einem wellenartigen Verlauf des Fallzahlenniveaus der vergangenen Jahre auszugehen, was der nachfolgenden Darstellung zu entnehmen ist:

[Tabelle in Drucksache einsehbar, oben rechts verlinkt]

Die Entwicklung des Fallzahlenniveaus der PMK ist stark geprägt von gesellschaftspolitischen Themen und Ereignissen im Bundesgebiet, unterliegt aber auch den Einflüssen und Auswirkungen globalpolitischer Themen und Ereignisse.

 

8. Welche Verbindungen zwischen der rechtsextremen Szene Bremens und Niedersachsens gibt es?

Der allgemeinen Entwicklung des Rechtsextremismus in Niedersachsen folgend lässt sich auch für die im Bremer Umland wohnhaften Rechtsextremisten feststellen, dass die klassische Organisationsgebundenheit zunehmend durch eher lockere, stetig wechselnde und in erster Linie virtuell entstehende Personenzusammenschlüsse ersetzt wird. Aufgrund der räumlichen Nähe bestehen mitunter Kennverhältnisse und entsprechende Kontakte von rechtsextremistischen Personen aus Niedersachsen und aus der Hansestadt Bremen. Zudem sind einzelne dieser Personen zwar in Niedersachsen wohnhaft, aber primär in Bremen aktiv. In der Vergangenheit haben auch Personen aus Bremen an rechtsextremistischen Veranstaltungen in Niedersachsen teilgenommen. 

 

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