Julia Willie Hamburg: Erwiderung auf die Regierungserklärung Coronamüdigkeit und Mutationen
- Es gilt das gesprochene Wort -
Anrede,
die Euphorie, mit der Sie uns hier heute Möglichkeiten im Umgang mit diesem Virus präsentiert haben, könnte den Eindruck erwecken, dass Sie die letzten Monate in diesem Parlament nicht sonderlich aufgepasst haben. Aber lassen Sie mich erst einmal an Frau Carola Reimann auch von unserer Seite aus einen herzlichen Dank für die geleistete Arbeit aussprechen. Wir waren nicht immer einer Meinung, wir hätten uns einige Dinge anders gewünscht und trotzdem wissen wir was für ein Knochenjob das war, dieses Amt auszufüllen und deswegen Ihnen und Ihrem Haus herzlichen Dank dafür.
Persönlich und im Namen meiner Fraktion wünsche ich Ihnen eine schnelle und die beste Genesung und viel Kraft für die kommenden Wochen und Monate. Ich möchte am Anfang auch einmal sagen: willkommen zurück Daniela Behrens. Wir freuen uns sehr, dass sie zurück in diesem Hause sind. Wir wissen, dass Sie eine sehr tatkräftige für alle Anregungen offene Kämpferin sind und eine Verwaltungsfachfrau. Ich hoffe und wünsche Ihnen in der Bewältigung dieser Krise und bei den politischen Herausforderungen, die vor Ihnen stehen, ein gutes Händchen und viel Erfolg
Anrede,
viele Menschen sind, wie Sie sagen Herr Althusmann, zermürbt. Aber dann ist es doch wichtig, sich zu fragen, warum eigentlich sind die Menschen so müde. Sind sie es vielleicht, weil die Maßnahmen, die durch Corona seit Wochen und Monaten getroffen werden, einfach nicht praxistauglich sind? Weil sie fern ab sind von der Realität von Familien, von Kindern und Jugendlichen? Weil sie unsinnig sind, wie zum Beispiel die „+1 Regel“ nach der man jeden Tag fünf verschiedene Leute nacheinander treffen kann, aber nicht mit vier festen Haushalten in einer Social Bubble leben kann. Oder die Hilfsmaßnahmen, die einfach viel zu bürokratisch sind. Menschen in Existenznot sind stundenlang erst mal damit beschäftigt, Anträge zu finden, die ausgefüllt werden müssen und am Ende kommen die Hilfen dann noch nicht einmal an, weil sie praxisfern aufgestellt sind. Das zermürbt!
Anrede,
die ewige Hoffnung bei jeder Ministerpräsidenten-Konferenz, dass endlich etwas besser wird für die Menschen, jetzt endlich gelockert wird, wird jedes Mal enttäuscht. Unter anderem, weil es immer noch keinen bundesweiten Stufenplan gibt. Weil deutlich wird, dass die Atempause im Sommer und auch der viermonatige Lockdown eben nicht genutzt wurden, um Rahmenbedingungen zu schaffen, um Schnelltests und Impfungen so auf den Weg zu bringen, dass ein Leben mit dem Virus möglich erscheint. Von Woche zu Woche hangeln sich die Regierenden, hangeln wir alle uns durch diesen Lockdown. Im Dezember wurden Impfungen angekündigt, wurden Impfzentren eröffnet und am Ende kamen die Impfungen bei den Menschen nicht an und die Impfhotline sagte nur „kein Anschluss unter dieser Nummer“. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist es doch was so mürbe macht.
Vergleicht man den Kampf gegen das Virus mit einem Marathon ist das ein sehr passendes Bild.
Sie sind locker losgelaufen von Maybrit Illner über die Talkshow bei Anne Will bis zu Markus Lanz und haben immer gesagt, Sie haben alles im Griff, wir gehen den Weg von Maß und Mitte. Es wurden Schultern geklopft, viele waren zufrieden mit dem Krisenmanagement und dann ist folgendes passiert: Sie sind zwei-, dreimal falsch abgebogen, haben sich verlaufen, sind einmal gestolpert. Jetzt liegen noch zwei Drittel der Marathonstrecke vor Ihnen und uns und passiert ist das, was dann oft passiert: Wadenkrampf, keine Energie, keine Aussicht auf die nächste Verpflegungsstation. Und die Frage, wie geht es weiter, woher bekomme ich einen Energieschub.
Dabei hat man das Ziel vor Augen, wir können es doch sehen. Jetzt heißt es noch mal Kraft sammeln, für den Schlusssprint damit wir erfolgreich durch die Ziellinie kommen.
Anrede,
Beim Thema Impfen waren wir anfangs noch hoffnungsvoll, dass es bald mehr Impfstoff geben wird. Und, Herr Althusmann, es ist ja nicht falsch, was Sie sagen. Auch wir fordern seit Monaten die Landesregierung dazu auf, auch die Betriebsärzte mit einzubeziehen. Die großen Player mit ein zu beziehen. Die Unternehmerverbände haben erneut betont, sie wollen mit Ihnen darüber beraten, wie sie beim Impfen unterstützen können. Die Hausärzte müssen mit einbezogen werden, um mobiles Impfen voranzubringen. Herr Althusmann, da könnten die Gespräche bereits gelaufen sein, die sollten Sie nicht jetzt erst beginnen, sondern die sollten schon abgeschlossen sein. Und wenn der Impfstoff kommt, dann muss geimpft werden: jeden Tag, 24 Stunden lang, sieben Tage die Woche.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Gleiches gilt für das Thema Schnelltests. Seit Herbst stehe ich hier und weise auf Studien aus Hessen zur Selbstanwendung für Schulen hin, auf Forschungen dazu, und fordere Sie auf, sich dafür einzusetzen, dass diese Tests schneller zugelassen werden. Und ich sage Ihnen, was passiert ist: Im Januar noch erzählte mir Ihr Sozialministerium, dass sie sich den Schnelltest nicht anschließen werden, weil sie nicht valide genug sein. Im Februar, als Herr Weil hier das erste Mal von den Schnelltests sprach, da hatte Berlin schon 10 Millionen bestellt. Und als Sie im März dann die ersten 5 Millionen Schnelltest bestellt haben, da hat Berlin bereits zwei Wochen lang getestet, hat der Bund bereits bestellt, gestern wurde uns erzählt, dass am 1. März das Land nun endlich die Bestellung aufgegeben hat. Und das ist das, was ich Ihnen vorwerfe, Herr Althusmann. An dieser Stelle laufen Sie hinterher anstatt voranzugehen.
Denn am Ende müssen wir auch nicht drum herumreden. Es sind genau diese Begleitmaßnahmen, mit denen am Ende die Sicherheit und die Klarheit für ein Leben mit dem Virus geschaffen wird und der Gesellschaft und der Wirtschaft eine Perspektive gegeben wird. Nur die Gesellschaft gewinnt doch den Eindruck, dass wir von Kanzleramtstreffen zu Kanzleramtstreffen genau diese Hausaufgaben, die die Perspektive schaffen würden, eben nicht gemacht worden sind. Das ist das, was zermürbt. Denn diese Themen gibt es eben nicht erst seit Februar, als Sie sie für sich entdeckt haben, sondern sie wurden in Niedersachsen und allerdings auch im Bund sträflich vernachlässigt.
Stattdessen haben Sie jetzt auf dieser Ministerpräsidenten-Konferenz beschlossen, einfach trotzdem schon mal zu öffnen, um Druck aus dem Kessel zu nehmen. Das ist das Prinzip Hoffnung aber für viele Menschen fühlt sich das an, wie ein Ritt auf der Rasierklinge.
Anrede,
die Lockerungsmaßnahmen müssen begleitet werden. Nehmen wir die Not- und Rettungsärzte, die jetzt sagen, dass drei Wochen zu früh geöffnet wird, dass die Voraussetzungen eben nicht geschaffen sind und dass die Gefahr besteht, schneller in die dritte Welle zu rennen, als uns lieb ist. Auch dass die Menschen in den Altenheimen nun geschützt sind, ist ja nur ein halber Trost. Denn in Niedersachsen gehören 50 % der Menschen zu einer Risikogruppe. Das sind eben nicht nur die Menschen in den Altenheimen und deswegen ist es wichtig, hier besondere Vorsicht walten zu lassen. Auch für diese Menschen braucht es, eine langfristige Strategie mit Begleitmaßnahmen.
An dieser Stelle kann man auch das Bild einer Wanderung bemühen. Herr Althusmann, ich weiß gar nicht ob Sie auch so gerne wandern wie der Ministerpräsident.
Wenn man sich in den Bergen befindet und überraschend ein Gewitter aufzieht, kann man sich streiten, wer vorher nicht in die Wetterkarte geguckt hat, war es der Bund, die Kommune oder das Land. Man kann aber auch gemeinsam losrennen, einen Unterschlupf suchen und sich hinterher erzählen, wie man diese schwierige Situation trotzdem gemeistert hat. Das sind doch die Geschichten, die man sich später noch erzählen möchte.
Die Schnellteststrategie die reicht nicht aus. Einmal die Woche testen, wer sich mit Schnelltest auseinandergesetzt hat, weiß, dass schafft keine Sicherheit, keinen Überblick es kann nicht auf Dauer sein und auch freiwillige Teststrategien bringt am Ende nichts. Denn, wer macht diese Tests am Ende nicht? Natürlich die, die auf der Party waren von der niemand erfahren soll und bei der man sich potentiell infiziert hat. Insofern möchte ich Sie auffordern testen Sie zwei Mal die Woche strategisch in den Schulen, in den Betrieben und machen Sie Tests auch in dem Handel und den Gaststätten, wenn Sie diese öffnen.
Herr Althusmann, Sie haben ja gesagt die Kinder, die wollen zurück an die Schule. Aber was haben Sie als Landesregierung denn gemacht, damit dieser Wunsch erfüllt werden kann? Sie haben 5 Millionen Tests bestellt für die Schulen, Sie sehen vor, dass über drei Wochen zweimal wöchentlich getestet wird.
Und dann geht man doch eigentlich davon aus, dass weitere Tests bestellt werden. Stattdessen teilt das Ministerium im Sozialausschuss mit, man wolle warten bis die Preise sinken. Das ist doch keine Priorität auf Bildung und auf die Interessen von Kindern und Jugendlichen. Das Pokern der Landesregierung auf niedrigere Preise muss ernsthaft geändert werden. Ich fordere Sie auf, das zu korrigieren und endlich eine verlässliche Teststrategie nicht nur für die Schulen, sondern für alle Landesbediensteten auf den Weg bringen.
Anrede,
und Zugang zu den Tests brauchen alle Menschen. Menschen, die sich diese Tests nicht leisten können. Denn gerade die sind doch oft auch besonders gefährdet, sie haben Jobs in denen Sicherheitsabstände nicht eingehalten werden können, die den öffentlichen Personennahverkehr nutzen müssen. Oder zum Beispiel auch für Menschen, die unsere Sprache nicht sprechen. Auch die dürfen wir doch bei diesen Schutzmaßnahmen nicht abhängen. Wo sind da Ihre Konzepte und Visionen? Das sind nicht wenige Menschen in Niedersachsen und hier braucht es Antworten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Und schon wieder vergessen Sie den Sozialbereich, die Jugendlichen, die Jugendarbeit. Der Chef der Staatskanzlei hat gestern im Sozialausschuss zugegeben, dass dieser Komplex bei der Ministerpräsidentenrunde eine untergeordnete Rolle gespielt hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist fatal, gerade in den Zeiten, in denen wir emotional alle angespannt sind.
Anrede, ich habe unsere Anträge noch einmal gelesen. Anträge, die seit April letzten Jahres vorliegen und ich kann Ihnen sagen, dass ich viele grüne Anträge finde, zur Schule, zu Wirtschaft, Kultur, Pflege, Gesundheitswesen, zum Sozialbereich. Unsere Anträge sind immer noch aktuell. Es gibt Themen, über die sprechen wir hier seit April/Mai letzten Jahres und sie sind einfach noch aktuell, weil sie nicht angepackt wurden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Das müssen wir doch ändern. Es müssen endlich alle Bereiche in den Blick genommen werden. Auch einen Antrag zum Thema Stufenplan haben wir eingebracht. Und Herr Althusmann, wo Sie gerade davon geredet haben, wie positiv Ihr Stufenplan aufgenommen und in der Anhörung gelobt wurde - wir hätten diese hochgelobten Anhörungsunterlagen auch gerne endlich. Wir warten darauf seit Wochen und es wäre schön, wenn Sie die dem Parlament endlich mal übersenden würden.
Heute bringen die Grünen einen Antrag zum Thema Schnelltests, Teststrategie und begleitetes Öffnen ein. Warum, liebe Kollegen und Kollegen? Weil genau dort die große Lücke und die Enttäuschung über diese Ministerpräsidenten-Konferenz ist. Weil Sie eben genau für dieses wichtige und strategische Mittel keine Antwort geben. Das ist ein sträflicher Fehler. Deswegen fordern wir die Landesregierung auf, strategisches Testen nach vorne zu stellen und mehr als einmal die Woche zu testen.
Um noch einmal das Bild vom Marathon zu bemühen: wir haben noch ein ordentliches Stück vor uns. Und was kann man da tun? Die eine Möglichkeit ist sich einzugestehen, dass man sich verlaufen hat. Man bleibt stehen, weil man aus der Puste ist. Das hieße aufzugeben und zu warten, bis die Kehrmaschine einen einsammelt. Und sich darüber ärgern.
Wir könnten aber auch alle miteinander durchatmen, eine Banane essen, uns gegenseitig motivieren, das Ziel wieder in den Blick nehmen. Denn es ist schon in Sicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin für diese Möglichkeit. Lassen Sie uns die Probleme miteinander und motiviert lösen.