Julia Hamburg: Rede zu den Ergebnissen der Ministerpräsident*innenkonferenz und zum Corona-Stufenplan der Landesregierung
TOP 2: Unterrichtung des Ministerpräsidenten über die Ergebnisse der Videokonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 10.02.2021 und Umsetzung in Niedersachsen
- Es gilt das gesprochene Wort -
„Niedersachsen im Kampf gegen das Corona-Virus“ lautet der Titel Ihrer heutigen Regierungserklärung. Und ich muss sagen, von kämpferisch war in Ihrer Regierungserklärung heute nichts zu sehen. Es war eher die allseits bekannte nüchterne – um nicht zu sagen ernüchternde – Beschreibung des Status Quo. Zugegebenermaßen garniert um ein paar Hoffnungsfloskeln. Sie betonen auch ein paar überfällige Selbstverständlichkeiten. Aber von einer Vision oder einer Perspektive im Kampf gegen das Virus war heute nichts zu sehen. Herr Ministerpräsident, ich fordere Sie auf: Stellen Sie sich endlich an die Spitze im Kampf gegen das Coronavirus und zeigen Sie den Menschen eine echte Perspektive auf.
Stattdessen dokumentieren Sie ein ums andere Mal: Sie hinken beim Kampf gegen das Virus einen Schritt hinterher. Jetzt haben Sie einen Stufenplan auf den Weg gebracht. Und ich möchte betonen, es ist richtig, dass Sie diesen Schritt endlich gegangen sind und dass dieser Plan viele Punkte berücksichtigt, die wir auch angemahnt haben. Dennoch kommt er spät. Und die Ministerpräsidentenkonferenz der letzten Woche brachte vor allem eines für die vielen Menschen, die sich seit Monaten an die Beschränkungen halten: Ernüchterung. Sie waren nicht in der Lage bundesweit ein Signal auszusenden, dass Sie mit einem Stufenplan für Verlässlichkeit sorgen werden. Dabei ist doch gerade diese Perspektive für das Durchhalten in dieser Krise so unfassbar entscheidend.
Auch weist Ihr Stufenplan Lücken auf. So ist von den allseits beschworenen Sozialgemeinschaften nichts im Plan enthalten und die Lebensrealität von Familien und Kindern findet immer noch viel zu wenig Berücksichtigung in diesem Plan.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist weltfremd, dass Familien Geschwisterkinder nicht zusammen zu einer Verabredung oder Betreuung bringen können und sie stattdessen aufteilen sollen. Bessern Sie hier nach und schaffen Sie Ausnahmen für Geschwisterkinder. Auch ist absolut unverständlich, warum Sie nicht zwischen Aktivitäten draußen und drinnen unterscheiden. Hier ist doch ein entscheidender Schlüssel, um in Niedersachsen Perspektiven jenseits des Lockdowns zu schaffen. Clubs und Bars finden bei der Landesregierung überhaupt nicht statt. Das ist ein Fehler, liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade weil sie vom Lockdown so massiv betroffen sind, müssen wir hier flexible Antworten finden, um auch ihnen eine Perspektive zu geben. Soziales spielt bei Ihnen überhaupt keine Rolle. Und das ist symptomatisch im Umgang der Landesregierung mit diesem Bereich. Das Gegenteil müsste doch der Fall sein. Sie müssten dem Sozialbereich eine riesige Rolle geben und sagen: Ihr Tafeln, ihr Kinderschutzzentren, ihr Jugendhilfeeinrichtungen und Selbsthilfegruppen – ihr seid so wichtig, dass ihr immer Angebote machen könnt und sollt und wir geben Euch zusätzliches Geld, damit ihr Eure Arbeit passgenau anbieten könnt.
All diese Fragen würden wir gerne breit diskutieren, aber leider wollen Sie als große Koalition im Ausschuss keine Anhörung dazu machen. Ein schwerwiegender Fehler, denn eine schriftliche Anhörung der Landesregierung schafft eben gerade nicht die öffentliche und breite Debatte, die wir brauchen. Nur diese schafft es, die vielen Abwägungsprozesse sichtbar zu machen. Deshalb werden wir Grüne nun eine solche Anhörung mit der FDP durchführen. Sie sind herzlich eingeladen, dieser beizuwohnen.
Allerdings müssen wir dringend prüfen, inwiefern der Stufenplan sich durch die Mutationen auch überholt hat und angepasst werden muss. Zu den Mutationen haben Sie bereits ausgeführt – auch hier leider lediglich beschreibend. Dabei hätten Sie hier und heute Antworten geben müssen! Warum wurde in Niedersachsen so lange weiterhin nur 1 Prozent der Proben sequenziert? Warum wurde hier nicht Abhilfe geschaffen? Warum haben Sie nicht wenigsten die von Frau Janssen-Kucz eingebrachte Abwasseruntersuchung auf den Weg gebracht? Warum nicht zumindest in den Hotspots konsequent sequenziert? Wann kommt die landesweite Datenbank? Und vor Allem: Was wollen Sie nun vor Ort in der Wesermarsch, in Osnabrück und in Hannover tun? Dort gelten bereits harte Lockdownmaßnahmen? Was heißt die verbreitete Mutation vor Ort für Friseuröffnungen, für die Schulen, mobilem Arbeiten und darüber hinaus? Was ist hier Ihre Perspektive? Und wann unterstützen Sie die Landkreise endlich bei wirksamen und effektiven Kontrollen in den Betrieben? Der Fall aus Osnabrück zeigt erneut eindringlich, wie überfällig dieser Weg ist.
Wir müssen dringend vorankommen, aber Sie umschiffen fleißig die notwendigen Antworten. Die von mir ausgeführten Beispiele zeigen: Ein Stufenplan alleine ist noch keine Strategie im Kampf gegen das Corona-Virus. Es braucht flankierende Maßnahmen. Entsprechend interessiert haben ich Ihren Ausführungen zu den Masken und Schnelltests gelauscht und auch hier bleiben Sie leider hinter den Erwartungen zurück. Es ist fahrlässig, dass Sie jetzt – nach fast einem Jahr – beginnen wollen, FFP2 Masken an Landesbedienstete zu verteilen. Masken sind ein elementarer Bestandteil zum Schutz vor Ansteckung bei Kontakten. Andere Länder machen das seit Monaten und auch wir fordern Sie seit langem dazu auf. Gleiches gilt für die Schnelltests. Während andere Länder bereits Schnellteststrategien entwickelt haben und Böblingen nun Tests für alle eingeführt hat, beginnen Sie jetzt mit freiwilligen Tests an Schulen und Kitas. Das ist Mindestmaß und keine Perspektive, Herr Ministerpräsident! Und während Berlin Millionen von Tests zur Selbstanwendung für Schulen und Kitas optioniert hat, erwähnen Sie heute in Ihrer Regierungserklärung das erste Mal diese Maßnahme. Merken Sie einen Unterschied, Herr Ministerpräsident? Wenn Sie sich bewegen, ist der Zug bereits abgefahren. Öffnungsperspektiven wird es nur mit einem Testkonzept geben, da müssen Sie in die Offensive gehen.
Gleiches gilt für Hilfen, die notwendig sind, um während der Corona-Maßnahmen alle im Blick zu haben. Da sind soziale Einrichtungen, die dringend mehr Landesunterstützung bräuchten, ein warmes Mittagessen für Kinder, die dieses derzeit im Lockdown nicht erhalten. Aber auch Masken und Tests kosten Geld und finanzschwache Menschen sind hier massiv benachteiligt. Daneben gibt es die Wirtschaftshilfen. Sie haben gerade ausgeführt, dass Sie das Ziel haben, nach 4 Monaten die Novemberhilfen abgearbeitet zu haben. Herr Althusmann, wir reden hier von Existenzen. Gerade die Klein- und Mittelständischen Unternehmen, aber auch die Soloselbstständigen fallen noch immer durchs Raster. Hängen Sie sich mehr rein – insbesondere bei der Bearbeitung der Überbrückungshilfe III, die Menschen sind auf das Geld angewiesen, die Polster längst aufgebraucht.
Vollkommen sprachlos waren Sie, Herr Ministerpräsident bei dem, was das Herz der Krisenbewältigung ausmacht: eine ermutigende Perspektive. Die ist es doch, die uns allen Kraft gegen würde, im Kampf gegen das Virus. Was ist da Ihre Vision für die Menschen in Niedersachsen? Impfen in Zeiten von Mangel ist es sicherlich nicht allein, denn vor dem Herbst werden wir hier nicht ausreichend vorangekommen sein. Dass Ihre Ausführungen zu Ihrem Impfdebakel eine Zumutung für diejenigen ist, die immer noch versuchen Termine zu bekommen, muss ich Ihnen sicherlich nicht sagen. Das wissen Sie insgeheim selbst. Also was heißt das Leben mit dem Virus für die kommenden Monate? Wir alle wissen, dass einfache Öffnungsdebatten am Kern des Problems vorbeigehen. Also, zeichnen Sie doch mal ein Bild von Niedersachsen, das Öffnungsschritte mit Masken und eine Schnelltestoffensive flankiert. Das Infektionen reduziert, weil Menschen sich auf Sozialgemeinschaften konzentrieren. In denen Draußen das neue Drinnen ist und wir solche Angebote deshalb schaffen und als Land befördern. In denen draußen gelernt wird, in denen Kleingruppenbetreuung durch die Einbeziehung von Jugendarbeit möglich wird und AHA-Regeln an Schulen endlich umgesetzt werden. In der eine Begleitforschung befördert, was möglich ist, um Infektionen zu vermeiden. In dem Sie deshalb Förderprogramme ausrufen: Kultur 2.0, Festival 2.0, Handel 2.0, Gastro 2.0., Osterurlaub 2.0 . Was sind da Ihre Perspektiven, die Mut machen? Ich sage Ihnen was: Wenn Sie diese Perspektiven nicht haben, andere Menschen haben sie. Dann bündeln Sie Ihre Gelder und lassen Sie andere Menschen diese Ideen in die Tat umsetzen – lassen Sie sich inspirieren. Denn Sie sind es, der die Rahmenbedingungen für diese Perspektiven schaffen muss: Durch Testen, Forschen, Masken und Förderprogramme. Sie können in den Menschen den Kampfesgeist wecken, der uns ermöglicht, noch weiter durchzuhalten.