Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung:Die rechte Szene im Landkreis Diepholz
Vorbemerkung der Abgeordneten
Regelmäßig montags demonstrieren die selbsternannten „Freiheitsboten Syke“ gegen die staatlichen Corona-Schutzmaßnahmen in Syke. Am vergangenen Ostermontag kam es zu mindestens zwei Übergriffen auf drei Personen in der Nähe des Treffpunktes der Gegenkundgebung der „Jugendantifa Syke“ und „Wir sind mehr - Bündnis Diepholz“. Laut taz-Bericht vom 14.04.2021 wurde gegen zwei Personen Pfefferspray eingesetzt, anschließend wurden sie zu Boden geworfen. Einer der Betroffenen habe zudem einen „Schlag ins Gesicht“ bekommen. Eine weitere Person wurde bereits im Vorfeld verfolgt, konnte laut taz-Bericht jedoch entkommen, ohne erkannt zu werden. Antifaschistische Gruppierungen vor Ort warnen seit längerem vor einer gefestigten rechten Szene in der Region. So kam es 2019 in Syke zu einem Übergriff von einem „Reichsbürger“ auf einen CDU-Lokalpolitiker.
1. Wie stellt sich nach Kenntnis der Landesregierung der oben genannte Vorfall dar, und wurden Ermittlungen eingeleitet?
Das vorgenannte Ereignis führte zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung gemäß §§ 223, 224 StGB. Die Ermittlungen dauern gegenwärtig noch an und werden bei der Polizeiinspektion Diepholz geführt.
Nach vorläufigem Ermittlungsstand begaben sich die zwei Opfer im Bereich der Ortschaft Syke vom Friedhof aus zu Fuß in Richtung des sogenannten Hansa-Hauses. Dort kam ihnen eine Gruppe von etwa sieben - den Opfern unbekannten - Personen entgegen. Aus dieser Gruppe heraus sind sie von zwei Personen tätlich angegriffen worden.
2. Wie wurden mögliche Straftaten in Zusammenhang mit dem Vorfall in der polizeilichen Meldestatistik eingeordnet?
Die Straftat wird als politisch motivierte Gewalttat - rechts - eingeordnet und dementsprechend vom zuständigen Fachkommissariat für Staatsschutzangelegenheiten bearbeitet.
3. Wie schätzt die Landesregierung die Entwicklung der rechten Szene im Landkreis Diepholz seit 2016 ein?
Im Bereich des Landkreises Diepholz ist seit 2016 kein signifikanter Anstieg der Fallzahlen zu rechtsmotivierten Straftaten festzustellen.
4. Welches Personenpotenzial hat die rechte Szene im Landkreis Diepholz?
Der Landkreis Diepholz ist nach Erkenntnissen der niedersächsischen Sicherheitsbehörden keine rechtsextremistische Schwerpunktregion. Die Anzahl des Personenpotenzials mit einer anzunehmenden rechten Gesinnung dürfte sich in einem niedrigen zweistelligen Bereich befinden.
5. Welche rechten Gruppierungen existieren im Landkreis Diepholz mit welchem Personenpotenzial?
Den niedersächsischen Sicherheitsbehörden liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass die Personen aus dem rechten Spektrum im Landkreis Diepholz aktuell über organisatorische Strukturen verfügen. Einzelne Personen weisen Bezüge zur Partei „NPD“ und zu deren Jugendorganisation „Junge Nationalisten“ sowie zu den beiden neonazistisch geprägten Parteien „Die Rechte“ und „Der III. Weg“ auf. Teilweise bestehen enge Verbindungen zu Personen und Strukturen der rechtsextremistischen Szene in der Hansestadt Bremen, insbesondere zur bremischen Rechtsrockband „Endstufe“.
Im Bereich der subkulturellen Szene konnten Einzelpersonen in der Vergangenheit den rechtsextremistischen Bruderschaften „Nordic 12“ und „Blood Brother Nation“ zugerechnet werden. Die betreffenden Personen beteiligten sich an Demonstrationen und Kundgebungen sowie an szenerelevanten Großveranstaltungen und an Veranstaltungen zur Brauchtums- und Kontaktpflege oder sie traten als Besucher rechtsextremistischer Musikveranstaltungen in Erscheinung.
6. Welche Kenntnisse hat die Landesregierung, wie die in Frage 2 und 3 genannten Personen und Gruppierungen miteinander vernetzt sind?
Zu einer Vernetzung der genannten Personen und Gruppierungen liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor. Allerdings gibt es Hinweise auf persönliche Kennverhältnisse und Kontakte, die aber nicht als Vernetzung im Sinne einer zielgerichteten, auf Arbeitsteilung ausgerichteten Kooperation verstanden werden können.
Der Niedersächsische Verfassungsschutz verfügt in diesem Zusammenhang über Erkenntnisse hinsichtlich entsprechender Einzelpersonen als Nutzer virtueller Strukturen bei Messenger-Diensten und in sozialen Medien. Diese strukturellen Verbindungen werden einerseits für die Verbreitung rechtsextremistischer Inhalte genutzt, andererseits dienen sie der informellen Vernetzung mit Personen aus weiten Teilen der Bundesrepublik.
7. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über eine Vernetzung mit der rechten Szene in Bremen?
Aufgrund der räumlichen Nähe bestehen mitunter Kennverhältnisse und entsprechende Kontakte von Personen mit einer anzunehmenden rechten Gesinnung aus dem Landkreis Diepholz und aus der Hansestadt Bremen. Zudem sind einzelne dieser Personen zwar im Landkreis Diepholz wohnhaft, aber primär in Bremen aktiv. In der Vergangenheit haben auch Personen aus Bremen an rechtsextremistischen Veranstaltungen im Landkreis Diepholz teilgenommen.
Weitere konkrete Erkenntnisse zu tatsächlichen Vernetzungen mit der rechten Szene in Bremen liegen der Landesregierung nicht vor.
8. Welche Rolle haben Burschenschaften und Kameradschaften, auch aus Bremen, für die rechte Szene im Landkreis Diepholz?
Burschenschaften und Kameradschaften, auch aus Bremen, spielen für die rechte Szene im Landkreis Diepholz keine Rolle.
9. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über die Vernetzung der rechten Szene im Landkreis Diepholz mit Hooligan-Gruppierungen?
Vereinzelt gehören Personen aus dem Landkreis Diepholz entsprechenden Gruppierungen an. Das Personenpotenzial rechtsmotivierter Gewalttäter im Kontext zu Sportveranstaltungen bewegt sich im einstelligen Bereich.
10. Welche Demonstrationen, Kundgebungen und Infotische wurden im Landkreis Diepholz von extrem rechten Gruppierungen seit Januar 2016 angemeldet und haben stattgefunden (bitte aufschlüsseln nach Datum, organisierender Gruppierung, thematischer Ausrichtung, Personenanzahl und Ort)?
Der Landkreis Diepholz wurde vereinzelt als Durchführungsort rechtsextremistischer Kundgebungen gewählt.
Ausgehend von einem Vorfall in Kirchweyhe, bei dem Daniel S. am 10.03.2013 beim Schlichten eines Streits lebensgefährlich verletzt wurde und wenige Tage später verstarb, kam es zu mehreren derartigen Veranstaltungen. Hierbei wurde die ethnische Herkunft des Täters durch Rechtsextremisten für deren Zwecke missbraucht.
Am 14.03.2016 führten anlässlich des Todestages Angehörige der rechtsextremistischen Szene aus Niedersachsen und Bremen am Bahnhof von Kirchweyhe eine Mahnwache durch. Hierzu versammelten sich ca. 15 Personen und entzündeten Fackeln und hielten eine Gedenkminute.
Am 10.03.2018 führte die „Junge Alternative“ (JA) in Kirchweyhe eine Gedenkveranstaltung zum fünften Todestag von Daniel S. mit etwa 15 Teilnehmerinnen und Teilnehmern durch.
11. Wie viele rechtsextreme Liederabende, Konzerte, oder andere Veranstaltungen wurden im Landkreis Diepholz seit Januar 2016 durchgeführt, und welche Maßnahmen hat die Polizei innerhalb der Veranstaltungen ergriffen (bitte aufschlüsseln nach Ort, Zeitpunkt, Art des Ereignisses, Veranstalter und Motto)?
Den niedersächsischen Sicherheitsbehörden liegen keine Erkenntnisse über durchgeführte Konzerte oder Liederabende im Landkreis Diepholz seit Januar 2016 vor.
12. Welches Gewaltpotenzial sieht die Landesregierung in der rechten Szene im Landkreis Diepholz?
Dem neonazistischen Spektrum wie auch dem subkulturellen Rechtsextremismus ist eine inhärente Gewaltbereitschaft zu eigen. Diese Gewaltbereitschaft ist nahezu immer fester Bestandteil auch bereits früher Radikalisierungsstadien. Es ist daher nicht auszuschließen, dass im Landkreis Diepholz wohnhafte Einzelpersonen, die diesem Spektrum zuzuordnen sind, mit Gewaltdelikten - insbesondere in Verbindung mit Alkoholkonsum - in Erscheinung treten. Ausgehend von den niedrigen Fallzahlen zu den bekannt gewordenen Straftaten ist das Gewaltpotenzial jedoch eher als gering einzuschätzen.
13. Welche Maßnahmen unternimmt die Landesregierung, um auf die oben beschriebene Entwicklung zu reagieren?
Den niedersächsischen Sicherheitsbehörden liegen keine Hinweise auf eine quantitative oder auch qualitative Zunahme rechtsextremistischer Aktivitäten im Landkreis Diepholz vor. Der allgemeinen Entwicklung des Rechtsextremismus in Niedersachsen folgend lässt sich jedoch auch für die im Landkreis Diepholz wohnhaften Rechtsextremisten feststellen, dass die klassische Organisationsgebundenheit zunehmend durch eher lockere, stetig wechselnde und in erster Linie virtuell entstehende Personenzusammenschlüsse ersetzt wird.
Es ist in diesem Kontext zu betonen, dass die Landesregierung die Bekämpfung des Rechtsextremismus nach wie vor als eine ihrer wichtigsten Aufgaben ansieht. Auch vor diesem Hintergrund werden im Zuständigkeitsbereich der Polizeiinspektion Diepholz die folgenden zielorientieren Verfahrensweisen praktiziert bzw. die folgenden Maßnahmen durchgeführt:
Politisch motivierte Straftaten und sonstige Ereignisse mit politischem Bezug werden niedrigschwellig dem Fachkommissariat 4 (Polizeilicher Staatsschutz) zugewiesen und durch die dort beschäftigten, besonders geschulten Beamtinnen und Beamten bearbeitet. Eine entsprechende Fachkompetenz ist somit gewährleistet. Im Bedarfsfall werden Ermittlungsgruppen mit angemessenen Kräfteansatz unter Leitung des Fachkommissariats 4 (Polizeilicher Staatsschutz) eingerichtet sowie Fallkonferenzen unter Beteiligung u. a. des Landeskriminalamts Niedersachsen durchgeführt.
Im Kontext zum Versammlungsgeschehen wird bereits im Rahmen der Anmeldungen von Versammlungen und/oder Infotischen Kontakt mit dem Versammlungsleiter aufgenommen und werden Kooperationsgespräche geführt. Grundsätzlich findet eine Begleitung von Versammlungen durch den örtlichen polizeilichen Staatsschutz statt.
Präventionsarbeit findet im Rahmen des zumeist persönlichen Austausches mit Behörden des Landes und auf kommunaler Ebene statt. Darüber hinaus werden phänomenbezogene Vorträge durch das Fachkommissariat 4 (Polizeilicher Staatsschutz) angeboten. Polizeiintern finden auch anlassunabhängig Sensibilisierungen der Beamtinnen und Beamten sowie der Führungskräfte statt.
Durch das Landeskriminalamt Niedersachsen wird eine überregionale Vernetzung auf polizeilicher und behördlicher Ebene, insbesondere mit dem angrenzenden Landeskriminalamt Bremen, gewährleistet. Sachverhalte von überregionaler Bedeutung werden in Fallkonferenzen mit beteiligten Behörden innerhalb und gegebenenfalls auch außerhalb Niedersachsens besprochen. Zur Vernetzung dient auch die Präsenz der niedersächsischen Sicherheitsbehörden im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ), über welches Informationen, insbesondere solche von überregionaler Relevanz, in den verschiedenen Gremien ausgetauscht werden.
Weiterhin stellt das Landeskriminalamt Niedersachsen regelmäßig Referenten für die Durchführung von Fortbildungsveranstaltungen des Polizeilichen Staatsschutzes.
Der Niedersächsische Verfassungsschutz bietet zudem eine Vielzahl von Präventionsmaßnahmen an.Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Fachbereiches „Extremismusprävention“ waren in den letzten Jahren verschiedentlich im Landkreis Diepholz tätig. So war die geführte Wanderausstellung „Gemeinsam gegen Rechtsextremismus“, die insbesondere an Schulen gezeigt wird, in den Jahren 2016 und 2018 in Syke und 2019 in Stuhr zu sehen. Referentinnen und Referenten des Niedersächsischen Verfassungsschutzes führten auf Anfrage zudem eine ganze Reihe von Fortbildungsveranstaltungen im Landkreis durch und sensibilisierten beispielsweise Lehrerinnen und Lehrer, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Behörden und Vereine über Ausprägungen und Entwicklungen innerhalb des Rechtsextremismus sowie zu Radikalisierung und Prävention.
14. Zu welchen und wie vielen politisch rechts motivierten Straftaten und Ordnungswidrigkeiten ist es seit Januar 2016 in Diepholz gekommen, und wie viele Gewaltdelikte waren darunter?
Im Berichtszeitraum (Stand: 29.04.2021) wurden insgesamt 189 Straftaten - Politisch motivierte Kriminalität - rechts - registriert
[Tabelle in Drucksache einsehbar, verlinkt oben rechts]
15. Welche Demonstrationen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen im Landkreis Diepholz sind der Landesregierung im Zeitraum März 2020 bis April 2021 bekannt (bitte aufschlüsseln nach Ort, Datum, Organisatorinnen und Organisatoren und Teilnehmerzahl)?
[Tabelle in Drucksache einsehbar, verlinkt oben rechts]
16. An welchen der zu Frage 15 genannten Demonstrationen haben Mitglieder oder Sympathisantinnen und Sympathisanten der rechten Szene teilgenommen (bitte aufschlüsseln nach Ort, Datum, Gruppierung und Personenanzahl)?
Bezüglich der Teilnahme von Personen des rechten Spektrums an den unter 15. genannten Versammlungen liegen den niedersächsischen Sicherheitsbehörden keine Erkenntnisse vor.