Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort:Corona-Leugnerinnen- und Corona-Leugner-Szene in Niedersachsen

Vorbemerkung der Abgeordneten

Am Samstag, den 04.12.2021, ist es zu einer Demonstration mit rund 500 Teilnehmenden gegen die
Corona-Maßnahmen gekommen. Unter dem Motto „Schluss mit dem 2G-Diktat - Freiheit und Selbst-
bestimmung für die Bürger in unserem Land“ hatte die AfD zu der Demonstration aufgerufen.

Immer mehr Verfassungsschutzpräsidenten warnen vor einer zunehmenden Radikalisierung und
erhöhten Gewaltbereitschaft von Corona-Leugnerinnen und Corona-Leugnern und sogenannten
Querdenkerinnen und Querdenkern.

1. Wie bewertet die Landesregierung das Gefahrenpotenzial für gewaltbereite Übergriffe
und Aktionen der sogenannten Querdenkerinnen und Querdenker und Corona-Leugne-
rinnen und Corona-Leugner in Niedersachsen?

Im Rahmen des in Niedersachsen bisher überwiegend friedlichen Protestgeschehens kam es seitens der Protestierenden vereinzelt zur situativ ausgelösten Anwendung von Gewalt und zu Widerstandshandlungen gegen Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamte. Eine konkrete Planung zur gezielten Anwendung von Gewalt im Rahmen der Proteste konnte bisher nicht festgestellt werden. Im virtuellen Raum existieren Gruppierungen und Chatgruppen aus dem Spektrum der sogenannten Coronaleugnerinnen und Coronaleugner, die einen Systemumsturz offen propagieren und Gewalt als legitimes Mittel zu Erreichung dieses Zieles in Betracht ziehen. Insbesondere der virtuelle Austausch birgt die Gefahr, dass radikalisierte Einzelpersonen zueinander finden bzw. sich vernetzen. Innerhalb der Szene entstehen mitunter (Klein-)Gruppen, in denen die Sprache zunehmend verroht sowie Gewaltphantasien und Drohungen etwa gegenüber Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern, Politikerinnen und Politikern und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geäußert werden. Aus diesen Zusammenhängen heraus sind heimlich geplante gewaltsame Aktionen gegen Menschen und Sachen denkbar. Ebenfalls sind affektive oder auch geplante Gewalttaten durch radikalisierte Einzelpersonen möglich. Die niedersächsischen Sicherheitsbehörden beobachten daher die Entwicklungen in dieser Szene sehr genau.

2. Welche Rolle spielt die Rechte bei den Anti-Corona-Protesten in Niedersachsen?

Aktivitäten der Partei „Die Rechte“ in Niedersachsen gehen aktuell einzig vom Kreisverband Braun-
schweig/Hildesheim aus. Die Partei nimmt in Niedersachsen keinen steuernden Einfluss auf das Protestgeschehen. Gleichwohl beteiligen sich ihre Mitglieder regelmäßig an Protesten gegen die staatlichen Coronamaßnahmen, so u. a. an der Veranstaltung des AfD-Kreisverbandes Braunschweig am 08.01.2022 (siehe Antwort zu Frage 3) oder an unangemeldeten Zusammenkünften am 29.11. und 13.12.2021 in Braunschweig. Bei den von der Partei selbst durchgeführten Kundgebungen und Versammlungen werden die staatlichen Maßnahmen ebenfalls wiederholt delegitimiert und abgewertet. Die Partei „Die Rechte“ konnte diese Themensetzung bislang aber nicht für sich nutzen. Ein Zulauf außerhalb des rechtsextremistischen Spektrums bzw. aus der Szene der sogenannten Coronaleugnerinnen und Coronaleugner ist jedenfalls nicht zu verzeichnen. Vielmehr nutzt sie das Thema für eigene propagandistische Zwecke, um grundsätzlich gegen die Demokratie und ihre Repräsentanten zu agitieren.

Auf dem Telegram-Kanal des Kreisverbandes Braunschweig/Hildesheim der Partei „Die Rechte“ werden entsprechende Protestveranstaltungen bzw. Aufrufe zur Teilnahme an diesen Veranstaltungen beworben und auch Positionen sowie Terminlisten der Gruppierung „Freie Niedersachsen“, welche der Szene der sogenannten Coronaleugnerinnen und Coronaleugner zuzuordnen ist, geteilt.

Im Hinblick auf das landesweite Protestgeschehen in Niedersachsen ist die Rolle der vornehmlich im Bereich Braunschweig agierenden Partei „Die Rechte“ als marginal zu bezeichnen.

3. Welche Rolle spielt die AfD für die Querdenkerinnen- und Querdenker- und Corona-Leugnerinnen- und Corona-Leugner-Szene in Niedersachsen?

Die fortschreitende Analyse und Bewertung der Szene der sogenannten Coronaleugnerinnen und
Coronaleugner in Niedersachsen zeigt, dass die Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) bestrebt
ist, mit dem zunehmenden Protestaufkommen gegen die staatlichen Coronamaßnahmen das Thema selbst verstärkt zu besetzen. Durch die Organisation eigener themenverwandter Veranstaltungen und die vereinzelte Teilnahme an sogenannten „Spaziergängen“ versucht die Partei zum parlamentarischen Sprachrohr der Protestierenden zu werden. Augenscheinlich erfolgt hierbei keine wahrnehmbare Distanzierung gegenüber rechtsextremistischen Personen und Gruppierungen. So nahmen an einer Kundgebung des AfD-Kreisverbandes Braunschweig am 08.01.2022 auch erkennbar Mitglieder der Partei „Die Rechte“ teil.

Niedersächsische Politikerinnen und Politiker der AfD sowie einzelne Kreisverbände rufen wiederholt zur Teilnahme an den sogenannten „Montagsspaziergängen“ auf, um das Protestgeschehen für sich zu nutzen. Die AfD Niedersachsen äußert sich grundsätzlich positiv zu den sogenannten Spaziergängen und zu dem Protestgeschehen insgesamt. Die Partei bekundet ausdrücklich ihre Solidarität mit den Protestierenden. Gleichzeitig werden die eigenen Veranstaltungen auf den Social-Media-Kanälen der Protestierenden beworben.

Der AfD-Landesverband ist jedoch innerhalb der Szene der sogenannten Coronaleugnerinnen und
Coronaleugner in Niedersachsen kein zentraler Akteur und ist bisher nicht in der Lage, diese Szene steuernd zu beeinflussen. Die Partei versucht vielmehr, als deren politische Interessenvertretung aufzutreten.

4. Welche Anti-Corona-Proteste hat es seit Beginn der Pandemie in Niedersachsen gege-
ben (bitte auflisten nach Ort, Datum, Motto, Teilnehmendenzahl, Organisatorinnen und
Organisatoren)?

Das Versammlungsgeschehen in der Bundesrepublik Deutschland wie auch im Land Niedersachsen ist seit Beginn der Corona-Pandemie sukzessive aufwachsend und hat insbesondere in den vergangenen Monaten an Dynamik gewonnen. Eine systematische Erfassung der Versammlungslagen erfolgt grundsätzlich nicht. Eine manuelle Einzelfallbetrachtung zur Generierung der Gesamtzahlen für den angefragten Zeitraum seit Beginn der Pandemie ist in der im Rahmen der Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur schriftlichen Beantwortung zur Verfügung stehenden Zeit nicht leistbar.

Mit Blick auf eine fristgerechte Beantwortung der Anfrage ist eine manuelle Erhebung der Anzahl
versammlungsrechtlicher Aktionen beginnend mit dem 01.12.2021 erfolgt und aus der Anlage er-
sichtlich. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die überwiegende Anzahl der in der Anlage abgebildeten versammlungsrechtlichen Aktionen nicht angezeigt wurden und somit eine Nennung des konkreten Mottos nicht möglich ist. Darüber hinaus entfällt aus selbigen Gründen eine Angabe zu den Organisatorinnen und Organisatoren, zumal solche Daten aus datenschutzrechtlichen Gründen bei der Poizei nicht vorgehalten werden.

Im Zusammenhang mit den aufgeführten versammlungsrechtlichen Aktionen ist zu berücksichtigen, dass die Erhebung ausschließlich anhand der Meldungen der polizeilich bekannt gewordenen Versammlungen aus den Polizeidirektionen erfolgt. Im Hinblick auf die genannten Zahlen zu den Teilnehmenden ist anzumerken, dass es im Fall der Teilnahme von Personen an mehreren gleichgela-gerten Aktionen zu einer Doppelerfassung gekommen sein kann.
Im Zeitraum vom 01.12.2021 bis einschließlich 31.01.2022 wurden in Niedersachsen insgesamt
1 698 versammlungsrechtliche Aktionen polizeilich erfasst, die sich inhaltlich kritisch mit den Maß-
nahmen gegen die COVID-19-Pandemie auseinandergesetzt haben, von denen 313 im Vorfeld bei
den Versammlungsbehörden angezeigt wurden. Daran teilgenommen haben insgesamt etwa
139 520 Personen.

5. Wie viele der unter 4. genannten Demonstrationen und Kundgebungen waren angemel-
det?

Siehe Beantwortung zu Frage 4.

6. Wie viele Straftaten und Ordnungswidrigkeiten wurden aus diesen Demonstrationen be-
gangen (bitte auflisten nach Ort, Datum und Straftat/Ordnungswidrigkeit)?

Anhand der vorliegenden Meldungen (siehe Antwort zu Frage 4) aus den regionalen Polizeidirektio-
nen wurden in diesem Zusammenhang zum Erhebungszeitpunkt insgesamt 298 Strafverfahren sowie 4 550 Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich ausschließlich um sogenannte Eingangsmeldungen handelt, zu denen im Nachgang, z. B. im Rahmen von Ermittlungen oder Anzeigen, weitere Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren hinzukommen und gegebenenfalls im weiteren Verlauf auch eingestellt werden können. Insofern sind diese Angaben nicht abschließend und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit bzw. belastbare Validität.

7. Welche Rolle spielt die Vernetzung und Mobilisierung in Chatgruppen und Foren für die
Corona-Leugnerinnen- und Corona-Leugner- und Querdenkerinnen- und Querdenker-
Szene in Niedersachsen?

Vernetzung und Austausch innerhalb der Szene der sogenannten Coronaleugnerinnen und Coro-
naleugner finden überwiegend über den Messengerdienst Telegram statt. Neben der Mobilisierung
zu Versammlungen findet in den virtuellen Gruppen vor allem ein Austausch zur Corona-Pandemie
bzw. zu den mit ihr im Zusammenhang stehenden politischen und gesellschaftlichen Prozessen statt. Viele Angehörige der Szene pflegen ein Widerstandsnarrativ und sehen sich im Kampf gegen einen als Diktatur wahrgenommenen Staat. So entsteht ein Freund-Feind-Denken, das sich in den
Echokammern des Internets verstärken und zu einem Verbalradikalismus gegenüber vermeintlichen oder tatsächlichen Gegnern führen kann.
Viele Angehörige der Szene befinden sich zum Teil tief in virtuellen Filterblasen und beziehen ihre Informationen lediglich über Telegram-Kanäle und aus alternativen Medien. Insbesondere Telegram
bietet sogenannten Coronaleugnerinnen und Coronaleugnern eine Plattform zur kontinuierlichen Radikalisierung und zur Übernahme von Verschwörungstheorien und extremistischen Ideologien. Für diesen Personenkreis wird es zunehmend schwierig, sich von den dort verbreiteten Fake-News und Verschwörungstheorien abzuwenden.

Die virtuelle Vernetzung innerhalb der Szene ist deshalb maßgeblich sowohl für die Durchführung
realweltlicher Aktionen als auch für den inhaltlichen Austausch und für die Entstehung individueller
Radikalisierungsprozesse.

Wie bereits in der Antwort vom 27.12.2021 auf die Kleine Anfrage zur kurzfristigen schriftlichen Be-
antwortung in der Drucksache 18/10509 ausgeführt, setzt sich der Niedersächsische Minister für Inneres und Sport, Boris Pistorius, seit Jahren stark dafür ein, dass Hass und Hetze allgemein und
insbesondere auch in den sozialen Netzwerken konsequent verfolgt und eingedämmt werden.
Gerade im Mitteilungsdienst „Telegram“ ist eine Vielzahl strafbarer Äußerungen wie Beleidigungen,
Bedrohungen und Aufrufe zu Straftaten zu beobachten, die innerhalb des Messengerdienstes starke Verbreitung finden und gegen die vom Anbieter kaum Maßnahmen ergriffen werden.

Auf Initiative des Niedersächsischen Ministers für Inneres und Sport hatte die Innenministerkonferenz (IMK) daher im Juni 2021 in Rust bekräftigt, dass die effektive Bekämpfung von Hass und Hetze auch im digitalen Raum eine elementare Aufgabe ist, um die freiheitliche demokratische Grundordnung und den gesellschaftlichen Zusammenhalt wirksam zu schützen.Die IMK hält es dabei für zwingend notwendig, dass auch Messenger-Dienste wie Telegram, die sich - zumindest rein faktisch - von einer Plattform für Individualkommunikation zunehmend zu einem sozialen Netzwerk mit Massenkommunikation entwickeln, dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) und den dortigen Verpflichtungen
unterfallen. Das muss für alle Betreiber sozialer Netzwerke bedeuten, dass sie die Verpflichtung haben, strafbare Äußerungen nicht nur zu löschen, sondern künftig darüber hinaus auch an die eigens hierfür eingerichtete Stelle beim Bundeskriminalamt zu melden, damit von hier die Strafverfolgung konsequent aufgenommen werden kann.

Neben dieser Forderung hat der Niedersächsische Minister für Inneres und Sport auch die Unternehmen Apple und Google, die den Mitteilungsdienst Telegram auf ihren digitalen Vertriebsplattformen anbieten, dazu aufgefordert, diesen nicht mehr zu vertreiben, da er auch den Compliance-Regeln von Apple und Google widerspricht. Zu diesem Thema führt der Niedersächsische Minister für Inneres und Sport auch im Kreise der Innenminister und -senatoren der Länder und gemeinsam mit der Bundesinnenministerin Gespräche, um schnellstmöglich Maßnahmen gegen Telegram umzusetzen.

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