Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung :Ausübung ehrenamtlicher Mandate und Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Tätigkeiten im Falle des Bezugs von Arbeitslosengeld II

Vorbemerkung der Abgeordneten

In § 54 Abs. 1 Satz 2 NKomVG heißt es: „Niemand darf gehindert werden, das Amt eines Mitglieds der Vertretung zu übernehmen und auszuüben.“ Gleichwohl sind der Grünen-Landtagsfraktion vereinzelt Fälle bekannt geworden, in denen kommunale Mandatsträgerinnen und Mandatsträger, die in einem bestimmten Zeitraum Arbeitslosengeld II (ALG II) bezogen haben, an der Ausübung ihres freien Mandats durch die örtlichen Jobcenter gehindert wurden, etwa durch die Vorgaben zur Ortsabwesenheit. Eine Ortsabwesenheit muss beim jeweiligen Jobcenter vor einer Reise zunächst beantragt werden. Das Jobcenter muss dem Antrag zustimmen, damit die betreffende Reise unternommen werden darf. Eine rein telefonische Erreichbarkeit reiche demnach nicht aus.

Weiterhin werden Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Mandatsträgerinnen und Mandatsträger und ehrenamtlich Tätige gemäß § 44 und § 55 NKomVG im Falle des Bezugs von ALG II von den Jobcentern als Einkommen gewertet und teilweise auf den Regelsatz der betreffenden Personen angerechnet. Das Bundessozialgericht hat diese Praxis mit seinem Urteil vom 12.09.2018 bestätigt (B 14 AS 36/17 R).

Vorbemerkung der Landesregierung

§ 54 Abs. 2 Satz 1 NKomVG enthält das Verbot, die Mandatsübernahme und die Mandatsausübung in kommunalen Vertretungen zu behindern. Die Regelung sichert zum einen die Entscheidungsfreiheit, das Mandat anzunehmen. Sie schützt zum anderen auch das in Absatz 1 der Regelung näher bestimmte freie kommunale Mandat, insbesondere die Weisungsfreiheit im Rahmen der Wahrnehmung des Mandats. Der Schutzbereich der Vorschrift ist betroffen, wenn eine Maßnahme zielgerichtet erfolgt, um die Mandatsübernahme und -ausübung zu beeinträchtigen. Es reicht dagegen nicht aus, wenn eine einem anderen Zweck dienende Maßnahme eine Beeinträchtigung unvermeidlich zur Folge hat.

Der Gesetzgeber hat bei Einführung des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch (SGB II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - die Unterstützung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten bei der Integration in den Arbeitsmarkt (§ 1 Abs. 2 S. 2 SGB II) als wichtiges Ziel bestimmt. Leistungsberechtigte müssen sich nachhaltig um Arbeit bemühen und den Vermittlungsbemühungen des SGB-II-Leistungsträgers zur Verfügung stehen. Dies setzt grundsätzlich den Aufenthalt im zeit- und ortsnahen Bereich des SGB-II-Leistungsträgers voraus. Daher müssen erwerbsfähige Leistungsberechtigte zwecks Angeboten zur Eingliederung in Arbeit für den Grundsicherungsträger postalisch erreichbar sein und dürfen sich grundsätzlich nur nach Absprache und nicht ohne Zustimmung des Grundsicherungsträgers außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs aufhalten. Bei Verstoß gegen dieses Gebot geht der Leistungsanspruch verloren, es sei denn, die Leistungsberechtigten können einen wichtigen Grund geltend machen. Die Zustimmung ist vom Grundsicherungsträger zu erteilen, wenn für den Aufenthalt außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs ein wichtiger Grund vorliegt und die Eingliederung in Arbeit nicht beeinträchtigt wird. Ein wichtiger Grund liegt insbesondere u. a. bei der Ausübung einer ehrenamtlichen Tätigkeit vor.

1. Dürfen Jobcenter ehrenamtliche Mandatsträgerinnen und Mandatsträger und ehrenamtlich Tätige (in kommunalen Gremien), die zeitgleich ALG II beziehen, daran hindern, an Ausschussreisen o. Ä. teilzunehmen oder anderweitig ihr Mandat wahrzunehmen?

Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten keine Leistungen, wenn sie sich ohne Zustimmung des Grundsicherungsträgers außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs aufhalten und deshalb nicht für die Eingliederung in Arbeit zur Verfügung stehen. Sofern ein wichtiger Grund für die Abwesenheit vorliegt und die Eingliederung in Arbeit nicht beeinträchtigt ist, ist die Zustimmung zu erteilen. Ein wichtiger Grund liegt u. a. bei der Ausübung einer ehrenamtlichen Tätigkeit in Form einer mehrtätigen Reise einer kommunalen Mandatsträgerin oder eines kommunalen Mandatsträgers vor. Der Grundsicherungsträger muss also bei seiner Entscheidung eine Zukunftsprognose dahin gehend erstellen, ob eine Eingliederung während der mehrtägigen Reise der kommunalen Mandatsträgerin oder des kommunalen Mandatsträgers über den zeit- und ortsnahen Bereich hinaus zu erwarten ist. Ist während des Reisezeitraums keine Eingliederung zu erwarten, ist die Zustimmung zu erteilen.

Für die Mandatsausübung im zeit- und ortsnahen Bereich ist keine Zustimmung des Grundsicherungsträgers notwendig.

2. Sind die genannten Tätigkeiten bezüglich der Ortsabwesenheit rechtlich mit gewöhnlichen Urlaubsreisen gleichzusetzen?

Nein. Für eine mehrtägige Reise außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs im Rahmen eines ehrenamtlich ausgeübten kommunalen Mandats stehen weitere drei weitere Wochen (21 Kalendertage) pro Kalenderjahr zur Verfügung.

3. Wie beurteilt die Landesregierung die Anrechenbarkeit von Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Mandate und Tätigkeiten auf den Regelsatz von Bezieherinnen und Beziehern von ALG II im Hinblick auf deren Motivation für ehrenamtliches Engagement?

Aufwandsentschädigungen, die kommunale Mandatsträgerinnen und Mandatsträger erhalten, stellen eine Einnahme in Geld dar und sind gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II abzüglich abzusetzender Freibeträge zu berücksichtigen. Der abzusetzende Freibetrag ist dabei bereits in der Höhe privilegiert. Anstelle von 100 Euro werden 250 Euro in Abzug gebracht (§ 11 b Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB II). Bei Aufwandsentschädigungen, die über 250 Euro hinausgehen, ist nach § 11 b Abs. 3 SGB II noch ein weiterer Betrag vom Einkommen abzusetzen. Damit hat der Gesetzgeber bereits eine Regelung getroffen, die Aufwandsentschädigungen für kommunale Mandate gegenüber Erwerbseinkommen würdigt.

Zusätzlich können Sitzungsgelder, Fahrtkosten, Kinderbetreuungskosten u. ä. unberücksichtigt bleiben.

Eine Anrechnungsfreiheit von über die bestehenden Freibeträge hinausgehenden kommunalen Aufwandsentschädigungen ist nicht durch das gesetzgeberische Ziel der Eingliederung in den Arbeitsmarkt gedeckt. Wichtiges Ziel des Grundsicherungsträgers ist die Eingliederung in den Arbeitsmarkt und die daraus resultierende Erzielung eines Erwerbseinkommens, welches unabhängig von den Grundsicherungsleistungen macht. Das kommunale Ehrenamt kann neben einer Erwerbstätigkeit ausgeführt werden. Insoweit vertritt die Landesregierung nicht die Auffassung, dass die Anrechnung von Aufwandsentschädigung die Motivation für ehrenamtliches Engagement einschränken könnte.

4. Sieht die Landesregierung anderweitige Möglichkeiten, um ehrenamtliche Mandatsträgerinnen und Mandatsträger und ehrenamtlich Tätige (in kommunalen Gremien), die ALG II beziehen, gegenüber dem Status quo finanziell besserzustellen?

Nein. 

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