Antrag: Von Schulpreisträgerschulen lernen - mehr Freiräume für eine positive Schulentwicklung

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

2021 gewann die IGS Lengede den Deutschen Schulpreis, ebenso wie das evangelische Gymnasium in Nordhorn. Die Robert-Bosch-Stiftung, die Heidehof Stiftung sowie die ARD und die ZEIT Verlags-gruppe küren mit dieser Auszeichnung anhand verschiedener Kriterien (bspw. Unterrichtsqualität, Umgang mit Vielfalt, Schulleben und außerschulische Partner, Schule als lernende Institution) Schulen mit innovativen Ideen. Ziel dabei ist es, die Schulentwicklung in Deutschland voranzutreiben. Darüber hinaus werden Teilnehmer*innen ohne Auszeichnung über zwei Jahre begleitet und in ihrer Entwicklung unterstützt. Auch die Otfried-Preußler-Schule sowie die Alemannenschule in Wutöschingen gewannen diesen Preis ebenso wie die Elisabeth-Selbert-Schule. Grund dafür sind allerdings nicht etwa niedersächsische, schulpolitische Weichenstellungen, sondern schlichtweg das „Andersmachen“, Neues wagen- und zwar mit Erfolg. Ihre Konzepte, von fortschrittlicher Digitalisierung hin zu mehr selbstständigem und übergreifendem Lernen, bescherten den Schulen diese Auszeichnungen. Die Schulen haben gemein, dass sie sich Freiräume zwischen den Regelungen und Erlassen geschaffen oder verhandelt haben und z.B. mit Poollösungen im Bereich der Inklusion gearbeitet haben. Es ist auffällig, dass gerade diese Freiräume für die Auszeichnungen sorgten, dass sie trotz und nicht wegen der Kultusbürokratie gute Schulen sind.

Damit der Bildungsauftrag und innovative neue Konzepte in Niedersachsen Wirklichkeit werden, benötigt es neue Ausstattungen und ein zeitgemäßes Schulkonzept. Vorreiter in der Bildung können nieder-sächsische Schulen nicht werden, wenn Geld und Zeit für Fortschritt, Ideen und Qualitätsentwicklung fehlen.

Der Landtag stellt fest, dass

  • die Pandemie hat die offenen Baustellen im Bildungsbereich sichtbar gemacht hat. Diese sollten fort-laufend, schnellstmöglich und parteiübergreifend behandelt werden.
  • eine Neustrukturierung, Modernisierung und Weiterentwicklung des Schulwesens notwendig ist, um den Formulierungen in §2 des niedersächsischen Schulgesetzes, u.a. der Weiterentwicklung der Persönlichkeit, dem kritischen Hinterfragen von Informationen, die Beziehungen zu andern nach Gerechtigkeit und Gleichberechtigung zu leben und zur demokratischen Gestaltung der Gesellschaft beizutragen, gerecht zu werden.
  • eine Bildungsinvestition getätigt werden muss, damit neue Konzepte und Modelle gemeinsam entwickelt sowie ausgeführt werden können.
  • es bereits viele innovative Schulkonzepte gibt und viele Schulen Pioniere für moderne Schulentwicklung sind, die sichtbar, rechtssicher und für andere Schulen umsetzbar gemacht werden müssen.
  • Schulen Freiräume in der Unterrichtsgestaltung und Personalverantwortung brauchen, um der pädagogischen Ausgangsvoraussetzung der eigenen Schule angepasst arbeiten können.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  1. ein offeneres und flexibleres Kerncurriculum zu gestalten, dessen Inhalte auch auf das Leben und die Arbeitswelt vorbereiten. Dazu gehört die Ausweitung von Praktikumsmöglichkeiten, vorgesehenes jahrgangsübergreifendes Lernen, fächerübergreifende und projektbezogene Lernweisen sowie die Möglichkeit der selbstgestaltenden Arbeitsplanungen etwa angelehnt am Dalton-Prinzip. (Bsp.: Otfried-Preußler, Elisabeth-Selbert-Schule)
  2. Entlastungen von Verwaltungs- und Dokumentationsaufgaben mittels Schulverwaltungskräften voranzutreiben, um Schulleitungen und ihren Teams mehr Zeit für pädagogische Qualitätsentwicklung der Schule zu ermöglichen. Die Einstellung soll dabei den Schulen obliegen und vorwiegend im Schulleitungs- und Koordinationsbereich stattfinden. Mögliche Aufgaben-felder wären Mitarbeit bei der Unterrichtseinsatzplanung, der Ganztagskoordination, der BuT-Belange, die Operationalisierung der Schulbudgets, die Personalverwaltung oder Unterstützung bei der Organisation von Klassenfahrten.
  3. Demokratie und die feste, verbindliche Teilhabe der Schüler*innen im Lern- und Lebensraum Schule voranzutreiben.
  4. allen Schulen die Freiräume zu geben, auf eine Benotung bis zur 8. Klasse zu verzichten und um Lernentwicklungsberichte oder anderes Lernfeedback zu erweitern und dieses im pädagogischen Konzept auch mit jahrgangsübergreifenden Angeboten sowie einer Modularisierung zu verknüpfen.
  5. die Modularisierung von Oberstufen und andere pädagogische Modelle zum Lernen im eigenen Takt ab der Grundschule zu ermöglichen und konzeptionell mit Schulen voranzutreiben.
  6. die Digitalisierung weiter zu nutzen, um pädagogische Konzepte für individualisierte Lernangebote und Lernstandserhebungen voranzutreiben und Unterricht abwechslungsreicher zu gestalten. Hierfür ist Hardware, Software und Administration ebenso mitzudenken, wie die Vermittlung und Etablierung von Kompetenzen in der digitalen Welt in der Schule.
  7. kollaboratives Arbeiten an Schule zu stärken und offenere Lernmodelle sowie Austausch unter Lehrkräften zu befördern.
  8. Modellschulen und das Durchführen von Schulversuchen zu erleichtern. Die dabei entstehenden Projekte sollten nicht nur gefördert und vorangetrieben werden, sondern auch landesweit mit anderen Schulen vernetzt werden. Hierfür sollte sich die Landesregierung auf KMK-Ebene dafür einsetzen, dass die Durchführung von Modellprojekten in Bundesländern deutlich vereinfacht werden.
  9. vielseitige Kompetenzen durch vielseitige rechtssichere (Prüfungs-)Methoden zu stärken. (Bsp. Elisabeth-Selbert-Schule).
  10. das Konzept „der Raum als 3. Pädagoge“ durch bauliche Um- und Neubauten zu realisieren.  Neue Raumkonzepte sollten in Zusammenarbeit mit den Kommunen finanziell gefördert und vorangetrieben werden.
  11. die inklusive Schule so weiterzuentwickeln, dass sie dem breiten Inklusionsbegriff gerecht wird und Mehrsprachigkeit, Lernen im eigenen Takt, die Auseinandersetzung mit Vielfalt und unterschiedlichen Lebensweisen, Antidiskriminierung und Berufsorientierung stärker miteinander verbunden werden und in die Unterrichtsgestaltung einfließen.
  12. die schulischen Freiräume auch in der Frage der Personaleinstellung auszubauen, um vielfältige und multiprofessionelle Arbeit an Schule zu ermöglichen und voranzutreiben.
  13. Freiräume für die Zusammenarbeit der Schule mit dem Stadtteil und gesellschaftlichen Um-feld einzuplanen und hierfür auch die finanziellen Ressourcen mitzudenken. Außerschulische Lernorte hierbei mitzudenken und auszubauen sowie weiterzuentwickeln.
  14. die neu geschaffenen Freiräume für Schulen mit einer externen Schulaufsicht und fortwährender Qualitätsentwicklung zu begleiten und dafür auch Zeit und Ressourcen mit einzuplanen.

Begründung

Die Entlastung von solchen Aufgaben räumt Lehrkräften Zeit für ihre erlernte Tätigkeit, neue Unterrichtsmethoden sowie individuelle, konzentrierte Beschäftigung mit Schülerinnen und Schülern ein. Weiterbildungsmöglichkeiten fördern nicht nur neue Kompetenzen, sondern auch die Attraktivität des Lehrberufs.

Häufig beschränkt das Kerncurriculum die Autonomie der Lehrkräfte und der Lernenden. Selbstständigkeit ist nicht nur aus Erwachsenenperspektive wichtig für Kinder, sie selber he-gen ebenfalls das Bedürfnis, Aufgaben selbst bestimmen zu können und erleben Fremdbestimmung als Einschränkung.  Darüber hinaus berichtet der VBE, dass das Kerncurriculum übergreifendes oder darüberhinausgehendes Lernen und das Erlangen von sozialen und emotionalen Kompetenzen erschwert. Auch vermehrte Praktika müssen in das Unterrichts-modell eingebaut werden

Die Einbindung der SchülerInnen über den Unterricht und freiwillige Arbeitsgemeinschaften hinaus stärkt nicht nur die Verbindung und das Verantwortungsgefühl, es skizziert dabei für junge interessierte Menschen den Arbeitsaufwand hinter Tätigkeiten in der Schule und schafft Berührungspunkte zu bestimmten Berufsfeldern. (Bspw. Verwaltung, Lebensmittel)

Die Schulnote allein ist kein messbarer Wert für die Einschätzung schulischer Leistung. Sie ist weder objektiv, noch reliabel. Oft führt das Vergeben der Schulnoten zu Ängsten und kurzfristigem Lernen ohne langfristigen Effekt. Da reines Auswendiglernen des Stoffes weder langfristig wirkt und die alleinige Notengebung den Lernenden weder im Lern- noch in der Persönlichkeitsentwicklung helfen, können Lernentwicklungsberichte Schüler*innen fördern.

Neue Ideen sollten nicht an bürokratischen Hürden scheitern. Um möglichst viele Resultate aus verschiedenen Schulkonzepten ziehen zu können, sollten auch möglichst viele Schulen ihre Modellideen verwirklichen können. Dabei sollte eine offene Fehlerkultur entstehen, um Erkenntnisse aus negativen sowie positiven Erfahrungen zu gewinnen. Auch bereits bestehende Konzepte, wie das der Otfried-Preußler-Schule, sollten im Nachhinein nicht durch Behördenhandeln erschwert werden. Damit effektive Modelle auch schnell Verbreitung finden, sollten Schulen und deren Lehrkräfte im Land Niedersachsen besser vernetzt sein.

Die Vielseitigkeit der Prüfungsmethoden in Abitur, Ausbildung oder Studium sollten bereits in der Schule gefestigt werden. Dazu zählt zum einen fächerübergreifende Projektarbeit, die über die Arbeit eines Referats hinausgeht, aber auch eine alternative Prüfungskultur. Nicht nur mündliche Prüfungen könnten in abgespeckter Variante bereits in unteren Klassenstufen eine Alternative darstellen. Auch neuere Prüfungsmethoden in Form von Präsentationen, Klassenarbeiten ohne Aufsicht oder digitale Prüfungsmöglichkeiten sollten bereits in unteren Klassenstufen eingeführt und rechtssicher gemacht. Damit wird nicht nur Selbstständigkeit, sondern auch die Orientierung in verschiedenen Schwächen, Stärken und Interessen der Schülerinnen und Schüler gefördert. Anhaltspunkt dafür könnte das Institut der alternativen Prüfungskultur sein.

Die deutsche Schulakademie kooperiert bereist mit mehreren Ministerien und Akteuren und bietet neben attraktiven Weiterbildungen für Lehrkräfte auch Angebote für Schulen, zahlreiche Erfahrungen und ein großes Netzwerk an.

Offene Klassenzimmer ermöglichen neue methodische Vielfalt und bieten Kindern und Jugendlichen Freiraum im Denk- und Lernprozess, stiften Gemeinschaftssinn, fördern Inklusion und nicht zuletzt die individuelle Entwicklung der Schüler*innen. Es sollten, wie es das Land Berlin 2018 gemacht hat, neue Standards im Schulbau festgelegt werden. Für diese Entwicklung können auch Lehrkräfte, Pädagogen, Schüler*innen und Eltern hinzugezogen werden. Vorbilder für neue räumliche Konzepte sind die Alemannenschule oder das Orestadt Gymnasium in Kopenhagen.

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