Antrag: Niedersachsen auf dem Weg aus der Pandemie? Impferfolge sichern, nachhaltige Öffnungsperspektiven schaffen, Risiken impfresistenter Varianten ernst nehmen, Wirtschaftshilfen ohne existenzbedrohende Lücken sicherstellen

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Durch den zunehmenden Impffortschritt und den langsamen Rückgang des Infektionsgeschehens in Niedersachsen, tritt das Land in eine Phase, die den Weg zu einer Kontrolle und damit nachhaltigen Eindämmung der Pandemie weisen kann. Seit Monaten besteht erstmals eine realistische Option für nachhaltige Lockerungen und damit ein Leben mit dem Corona-Virus jenseits eines zähen Dauerlockdowns. Dafür gilt es, Lockerungen dann zu beginnen, wenn die Zahlen drastisch und gezielt gesenkt wurden, um keinen erneuten Anstieg der Fallzahlen zu riskieren.

In den kommenden Monaten müssen das Risiko der Verbreitung von impfresistenten Varianten minimiert und klare Ziele in der Pandemiebekämpfung definiert, kommuniziert und umgesetzt werden. Die COVID-19-Pandemie wurde vielfach unterschätzt, dieser Fehler muss durch ein stringentes und wissenschaftsnahes Vorgehen ausgeschlossen werden. Bisher ist noch nicht absehbar, ob die Durchimpfung der impfbereiten Menschen langfristig ausreicht, die Pandemie zu beenden. Deshalb gilt es schon jetzt Vorsorge für den Sommer und Herbst zu treffen.

Der Landtag begrüßt,

  • dass die Impfkampagne immer mehr an Fahrt aufnimmt und auch Hausärzt*innen mit hohem Engagement zum Impferfolg beitragen.
  • dass die Landesregierung bei den geplanten Lockerungen stärker zwischen Innenräumen und Außenflächen unterscheidet und damit den wissenschaftlichen Erkenntnissen zur hohen Ansteckungsgefahr in Innenräumen Rechnung trägt.
  • dass endlich ein erstes Projekt zur systematischen Abwasseruntersuchung in der Landeshauptstadt Hannover umgesetzt wird.
  • dass die Impfbereitschaft bei vielen Menschen sehr hoch ist, um sich und andere zu schützen und somit die Chance auf einen normalen Alltag für alle näher rückt.

Der Landtag stellt fest,

  • dass die Mediziner*innen und die Pflegekräfte weit über ihre Kräfte hinaus für die Gesundheit und das Leben tausender Menschen gekämpft haben.
  • dass die Anzahl intensivmedizinisch behandelter COVID-19-Fälle in Niedersachsen weiterhin auf einem sehr hohen Niveau liegt.
  • dass die Betroffenheit von Long-Covid auch und gerade jüngere Menschen trifft und es deshalb bis zur Erreichung eines weit verbreiteten Impfschutzes darum gehen muss, die Inzidenz weiterhin deutlich unter 50 Infektionen pro 100.000 Einwohner*innen zu drücken.
  • dass es jenseits der derzeitigen Lockerungsschritte eine Gesamtstrategie zur Eindämmung des Corona-Virus für die kommenden Monate geben muss, um den Impferfolg nicht zu gefährden.
  • dass nur mit klaren Zielvorgaben für eine niedrige Inzidenz und stabile Infektionszahlen Öffnungsschritte dauerhaft und für die betroffenen Wirtschaftsbereiche, Schulen, Kitas, soziale Einrichtungen, Vereine und das Privatleben planbar und verlässlich möglich sind.
  • dass die systematische Einbindung von Wissenschaft und Praxis für einen konsistenten und langfristig angelegten Öffnungsplan erforderlich ist und dazu führt, dass Planbarkeit und Praxistauglichkeit Einzug in die Corona-Strategie der Landesregierung erhalten.
  • dass ein Stufenplan neben den Lockerungsschritten auch die Stufen definieren muss, die jenseits der Bundesnotbremse bei verschärften Infektionsschutzmaßnahmen gelten, um bei Ausbruchsgeschehen nicht wieder zu lange zu warten, bis eingegriffen wird. Gleichzeitig braucht eine Gesamtstrategie Antworten darauf, wie die Reproduktionszahl niedrig gehalten wird und die Infektionszahlen weiter deutlich abgesenkt werden können.
  • dass Öffnungsschritte nur erfolgen können, wenn der R-Wert langfristig unter 1 liegt und sich keine impfresistenten Varianten verbreiten.
  • dass Kinder und Familien besonders geschützt werden müssen, da für Kinder die Impfungen noch nicht kurzfristig erfolgen können und sich damit das Risiko einer Verbreitung in dieser Altersgruppe signifikant erhöht.
  • dass schon heute die Inzidenzzahlen bei jüngeren Menschen signifikant über dem Durchschnitt liegen.
  • dass bereits jetzt die Vorbereitungen für Auffrischungsimpfungen der im letzten Jahr Geimpften getroffen werden müssen.
  • dass sozialräumliche Bedingungen (wie zum Beispiel beengte Wohnverhältnisse in Vierteln mit kleinen Wohnungen und niedrigem Durchschnittseinkommen) der Verbreitung des Corona-Virus stärker in den Blick genommen werden müssen.
  • dass die Wirtschaft mehr Planungssicherheit braucht, um auch heute schon für den Sommer und Herbst Vorkehrungen zu treffen. Gleichzeitig müssen Folgemaßnahmen für die Überbrückungshilfen und weitere Hilfsmaßnahmen bis in den Herbst fortgesetzt werden.
  • dass die Gefahr durch die COVID-19-Pandemie erst gebannt ist, wenn weltweit alle Menschen Zugang zu Impfstoffen, Schutzausrüstung und Tests haben und damit die Pandemie weltweit eingedämmt werden kann.

Der Landtag fordert die Landesregierung deshalb auf,

  • eine Gesamtstrategie im Umgang mit dem Corona-Virus vorzulegen, die eine klare Zieldefinition für Maßnahmen liefert und den Weg bis zum Spätsommer, wenn zumindest alle Erwachsenen ein Impfangebot erhalten haben, definiert.
  • Maßnahmen zu ergreifen, die weiterhin ein Absenken der Infektionszahlen erreichen und damit auch nachhaltige Planbarkeit und Perspektiven für die Wirtschaft und Gesellschaft in Niedersachsen liefern.
  • den Weg der Kommunen, sozialräumlich die Eindämmung des Corona-Virus voranzutreiben und finanziell und organisatorisch zu unterstützen, bspw. durch die Verstärkung von Personal, durch gezielte Arbeitsschutzmaßnahmen, aufsuchende Angebote und Kampagnen dieser Herausforderung aktiv mit zu begegnen.
  • Abwasseruntersuchungen auf SARS-CoV-2 und impfresistente Varianten unverzüglich flächendeckend in Niedersachsen einzusetzen.
  • die sozialen Einrichtungen und Angebote – insbesondere auch für Kinder und Jugendliche – bei den Öffnungsschritten besonders zu berücksichtigen und zu unterstützen und Beteiligungsoptionen zu schaffen.
  • kurzfristig Antworten darauf zu entwickeln, welchen zusätzlichen Schutz es für Kinder und Jugendliche geben kann, bis auch ihnen ein Impfangebot unterbreitet werden kann.
  • schon heute die Infrastruktur und Logistik in Zusammenarbeit mit den Kinderärzt*innen aufzubauen, um Kindern und Jugendlichen dann schnellstmöglich ein freiwilliges Impfangebot machen zu können.
  • die Kontaktbeschränkungen so weiterzuentwickeln, dass sie private Begegnungen zulassen und dennoch dem Infektionsschutz Rechnung tragen, etwa durch Sozialgemeinschaften (social bubble).
  • mit einer Kommission aus Wissenschaft und Praktiker*innen schon heute daran zu arbeiten, wie ab dem Spätsommer die nächsten Schritte aussehen werden, um die Pandemie in Niedersachsen erfolgreich zu überwinden.
  • unverzüglich Lücken der Bundeswirtschaftshilfen durch koordinierte Landeseigene Förderprogramme zu schließen. Für die Betriebe, die aufgrund der Kriterien bei den bestehenden Hilfen keinen Anspruch auf Unterstützung haben, ist nun zeitnah der von Bund und Ländern vereinbarte Härtefallfonds in Höhe von 141 Millionen für Niedersachsen umzusetzen und bei Bedarf entsprechend durch weitere Landesmittel aufzustocken. Darüber hinaus ist die Wiedereinführung eines Liquiditätskredites für Unternehmen zeitnah auf den Weg zu bringen, damit diese die Zeit bis zur Auszahlung von Wirtschaftshilfen überbrücken können. Abschlagszahlungen aus den Hilfsprogrammen sind auf mindestens 75 Prozent zu erhöhen.
  • sich unverzüglich bei der Bundesregierung zur Sicherstellung eines Unternehmerlohnes in Höhe von monatlich 1.200 Euro für Soloselbstständige und Kleinstunternehmen einzusetzen, der rückwirkend gewährt wird. Weiterhin sich dafür einzusetzen, dass die Konditionen der Überbrückungshilfe III deutlich verbessert werden. Dazu gehört eine Erhöhung der maximalen Erstattung der erstattungsfähigen Fixkosten ebenso wie eine deutliche Erhöhung der Personalkosten bei den erstattungsfähigen Fixkosten.
  • sich bereits jetzt dafür einzusetzen, dass es Folgehilfen der Überbrückungshilfe und weiterer Hilfsmaßnahmen – insbesondere für Gastronomie, Hotellerie, Veranstaltungsbranche und Erwachsenenbildung – geben kann, da diese absehbar noch immer nicht über auskömmliche Einnahmen verfügen werden.
  • eine landesweite Kampagne „Draußen ist das neue Drinnen“ aufzulegen und zugleich Kulturbetriebe bei der Umstellung auf alternative Veranstaltungskonzepte zu fördern. Bars, Clubs, Festivals und Diskotheken muss unbürokratisch ermöglicht werden Kneipen- oder Veranstaltungsangebote und Gastronomie anzubieten, insbesondere in Außenbereichen.
  • das Sonderprogramm „Niedrigschwellige Investitionsförderung für das Gaststättengewerbe fortzusetzen, um weiteren gastronomischen Betrieben zielgerichtete Investitionen zu ermöglichen, die einen Bezug zu COVID-19 haben.
  • die Niedersächsische Corona-Verordnung anzupassen, um allen Arbeitnehmer*innen das freiwillige Tragen von FFP2-Masken zu ermöglichen bzw. das Untersagen des Tragens von FFP2-Masken am Arbeitsplatz auszuschließen.
  • die Impfbereitschaft mit einer klaren, landesweiten, zielgruppengerechten, zielgruppendifferenzierten und mehrsprachigen Kampagne zu erhöhen.
  • sicherzustellen, dass u.a. durch optimales Impfbesteck die maximalzahl an Dosen aus jedem Impfstofffläschchen extrahiert werden kann.
  • vor dem Hintergrund, dass die ersten Impfungen bald 6 Monate her sind, Antworten darauf zu geben, wann und wie Auffrischungsimpfungen erfolgen müssen und können.
  • auf die Bundesregierung einzuwirken, sich im Sinne einer dauerhaften Bekämpfung des Corona-Virus weltweit für die Eindämmung der Pandemie einzusetzen und Impfungen und Testmöglichkeiten weltweit zu ermöglichen.

Begründung

Eine dauerhaft niedrige Inzidenz ist das effektivste Mittel, um das Auftreten von impfresistenten SARS-CoV-2-Varianten zu verhindern bzw. deren Verbreitung zu bremsen. Impfresistente Varianten sind das größte Risiko für den Impffortschritt und könnten die bisherigen Erfolge im schlimmsten Falle zunichtemachen. Besonders zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass sich die Variante P1 offenbar in allen US-Staaten schneller verbreitet als die Variante B.1.1.7. Aufgrund der hohen Impfquote ist in den USA und Großbritannien ein Auftreten von sogenannten Escape-Varianten wahrscheinlicher. Zudem gibt es deutliche Hinweise auf die reduzierte Wirkung der bisherigen Impfstoffe bei den Varianten P1 und B.1.351. Laut RKI bestand in Niedersachsen im Meldezeitraum der KW 01-16/2021 bereits in 12 Fällen der Verdacht auf P1 und in 70 Fällen der Verdacht auf B.1.351.

Weiterhin ist unklar, ob eine Herdenimmunität erreicht werden kann. Bisher ist keine Zulassung für einen Impfstoff für Kinder unter zwölf Jahren absehbar und trotz hoher Impfbereitschaft werden sich viele Menschen nicht impfen lassen wollen. Mit einer Kombination von Impfungen und einer langfristig ausgerichteten Niedriginzidenz-Strategie besteht jedoch die Aussicht, die Oberhand zu gewinnen, Erfolge zu sichern und auszubauen. So rückt ein halbwegs normaler Alltag mit geringen persönlichen Einschränkungen in greifbare Nähe.

Die Wirtschaftshilfen des Bundes sind zu bürokratisch und die Auszahlungen zu schleppend. Darüber hinaus fallen viele Betriebe, insbesondere Kleinstunternehmen sowie Klein- und Mittelständische Betriebe durch das Raster und erhalten keine Wirtschaftshilfen. Dadurch geraten diese Unternehmen zunehmend in die Existenznot. Mangelnde Planungssicherheit, schleppende Auszahlungen und Lücken bei den Wirtschaftshilfen dürfen die Existenzen nicht länger gefährden.

Auch wenn der politische Druck für schnelle Öffnungen auf alle Institutionen enorm ist: Nur wenn Lockerungen strategisch abgestimmt und Schritt für Schritt bei niedriger Inzidenz erfolgen, kann der Weg aus der Pandemie erfolgen, ohne ständigen „Jo-Jo-Effekt“. Für eine weitere Welle mit Lockdown haben viele Menschen und Betriebe keine Kraft mehr.

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