Antrag: Alle mitdenken: Den niedersächsischen Stufenplan mit umfassenden Begleitmaßnahmen zum Erfolg machen
Der Landtag wolle beschließen:
Entschließung
Im Zuge der Erfahrungen der letzten Monate wird immer mehr deutlich, wie wichtig es ist, dass es einen vorausschauenden und nachvollziehbaren Umgang mit der Corona-Pandemie gibt. Auch wenn im Umgang mit der Pandemie immer noch viel Forschungsbedarf besteht und das Virus nicht zuletzt durch Mutationen immer noch Unwägbarkeiten mit sich bringt, ist es doch möglich, auf Grundlage der Erfahrungen ein längerfristig wirksames Maßnahmenkonzept auf den Weg zu bringen.
Der Landtag begrüßt,
- dass die Landesregierung einen Entwurf für einen Stufenplan 2.0. auf den Weg gebracht hat, der differenziert in verschiedenen Stufen auf Grundlage der 7-Tages-Inzidenz und des R-Wertes Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus beschreibt,
- dass bei einer Inzidenz von unter 50, unter 25 und unter 10 versucht wird, auch eine stufenweise Rückkehr zur weitestgehenden Normalität zu beschreiben,
- dass ab einer Inzidenz von über 50 ein konsequenter Weg zur Eindämmung des Virus beschritten wird, um eine Entwicklung künftiger Wellen frühzeitig zu verhindern.
Der Landtag stellt fest,
- dass eine breite öffentliche Beteiligung und ein in sich konsistenter Plan geeignet sind, die Akzeptanz für die Maßnahmen zu erhöhen,
- dass vor dem Hintergrund der noch immer hohen Unsicherheiten, wo Ansteckungen eigentlich stattfinden, eine den Stufenplan begleitende Forschung unabdingbar ist und hier insbesondere die von Schließungen besonders betroffene Bereiche in den Blick genommen werden sollten,
- dass die Hilfsmaßnahmen für die betroffenen Bereiche nicht ankommen und vielfach auch nicht greifen, was zu erheblichen Problemen für die von Schließung betroffenen Unternehmen und Einrichtungen führt,
- dass neben den wirtschaftlichen und gesundheitlichen auch die sozialen Auswirkungen mit abgewogen werden müssen,
- dass neben einem Stufenplan auch umfangreiche Begleitmaßnahmen zur Prävention und Abmilderung der Auswirkungen eingeführt werden müssen, um den Stufenplan zum Erfolg zu führen,
- dass ein bundeseinheitliches Vorgehen zu der höchsten Akzeptanz und Nachvollziehbarkeit führen wird,
- dass die Mutation oder Erkenntnisse aus der begleitenden Forschung dazu führen, dass der Stufenplan regelmäßig evaluiert und angepasst werden muss. Die Erkenntnisse zu den Mutationen legen nahe, dass ein R-Wert von 0,8 nicht ausreichen wird, um die Zahlen schnell genug zu senken.
Der Landtag fordert die Landesregierung deshalb auf,
1. beim Stufenplan 2.0 folgende Prämissen stärker zu berücksichtigen und bei der Erstellung der Verordnung aufzunehmen:
a) Es soll eine stärkere Differenzierung zwischen Aktivitäten an der frischen Luft und Aktivitäten, die in geschlossenen Räumen stattfinden stärker differenziert werden, weil draußen weniger Infektionen stattfinden als drinnen. Das gilt beispielsweise für Außengelände und Flächen wie Zoos oder Tierparks. Die Landesregierung wird darüber hinaus um Prüfung gebeten, inwiefern insbesondere in den Stufen 3 und 4 Gastronomie, Messen, Läden und anderes Gewerbe sowie Schwimmangebote nach Außenangeboten und Indoor-Aktivitäten differenziert werden können.
b) Die sozialen Einrichtungen und Angebote - insbesondere auch für Kinder und Jugendliche – sollen explizit im Stufenplan aufgeführt werden, um die Wichtigkeit zu betonen und für die Akteurinnen und Akteure Klarheit zu schaffen.
c) Die Kontaktbeschränkungen sollen stärker auf die angestrebten Sozialgemeinschaften (social bubble) zugeschnitten werden.
d) Die Belange der Familien und Kinder sollen stärker berücksichtigt werden. Mindestens sollen Ausnahmen für haushaltangehörige Kinder bis zum 14. Lebensjahr vorgesehen werden.
e) Auch in Stufe 6 sollen für Alleinstehende und Alleinerziehende mehr als ein Plus-1-Kontakt erlaubt werden.
f) Die Landesregierung soll prüfen, inwiefern Angebote von Bildungsträgern wie Musikschulen, Kunstschulen u. ä. für Kinder und Jugendliche so geregelt werden können, dass sie unter Wahrung von Abständen und Hygieneregeln analog zu den schulischen Stufenplänen agieren können.
g) Bars, Clubs, Festivals und Diskotheken soll ermöglicht werden, Kneipen- oder Veranstaltungsangebote im Sinne der Kultureinrichtungen anzubieten und sich für diese Angebote an den Sparten Veranstaltungen oder Kneipen/Restaurants zu orientieren.
h) Bei Beerdigungen soll geprüft werden, inwiefern auch hier zwischen draußen und drinnen differenziert werden und gegebenenfalls die Zahl der Menschen, die Abschied nehmen wollen, erhöht werden kann. Gleichzeitig bitten wir zu prüfen, inwiefern Hotelübernachtungen zum Zwecke der Teilnahme an zulässigen Veranstaltungen wie Hochzeiten und Beerdigungen analog zu Berufsreisen geregelt werden können, um private Übernachtungen auf engem Raum zu vermeiden.
i) Die Landesregierung möge prüfen, inwiefern es für die Prostitution Regelungsmöglichkeiten gibt, die eine Verdrängung in die Illegalität verhindern und somit den Schutz aller Beteiligten erhöhen.
j) Die Landesregierung soll ferner prüfen, inwiefern vor dem Hintergrund der Erkenntnisse zu den Mutationen die Inzidenzen und der R-Wert für den Stufenplan nach unten angepasst werden müssen.
2. die Umsetzung des niedersächsischen Stufenplanes durch abgestimmte, wirksame Maßnahmen zu flankieren, um einen hohen Wirkungsgrad der Pandemiebekämpfung sicherzustellen. Die notwendigen Begleitmaßnahmen umfassen dabei insbesondere folgende Punkte:
a) Ausweitung der Teststrategie, besonders im Arbeitsumfeld. Die Frequenz der Testungen im öffentlichen Raum und dort, wo viele Menschen zusammenkommen, ist zu erhöhen, sobald entsprechende Tests zur Selbstanwendung zertifiziert sind. Selbsttestungen sind ein Schlüsselelement für Lockerungen und ein effektives Mittel, um Infektionsketten dort zu durchbrechen, wo viele Menschen zusammenkommen. Auch soll der Einsatz von FFP2-Masken und medizinischen Masken dort ausgebaut werden, wo zusätzliche Infektionsschutzeffekte zu vermuten sind. Hierbei ist auf die soziale Teilhabe zu achten.
b) Eine wissenschaftliche Begleitung soll den Stufenplan fortlaufend evaluieren, um fundierte Anpassung zu ermöglichen. Sind Maßnahmen nicht zielführend oder verhältnismäßig, müssen sie verbessert oder gestrichen werden. Die wissenschaftliche Begleitung kann zudem die weltweiten Forschungsergebnisse kurzfristig einbeziehen und erfolgreiche Elemente für den Stufenplan vorschlagen. Hierbei sind Forschungen zu Ansteckungswegen zwingend voranzutreiben und insbesondere die Bereiche in den Blick zu nehmen, die von den Schließungsmaßnahmen am Stärksten betroffen sind oder wo sich besonders viele Menschen aufhalten.
c) Kontaktnachverfolgungen sollen durch eine Erweiterung der App verbessert und für Gesundheitsämter erleichtert werden, indem Infektionscluster durch Zusammentreffen schneller erkannt und alle direkt informiert werden. Hierfür können QR-Codes verwendet werden. Gleichzeitig sollte bei der Aufnahme von Infektionen künftig auch der Beruf erfasst werden.
d) Die Sequenzierung muss unverzüglich weiter ausgebaut werden und sollte mindestens 10 % der positiven Proben umfassen. Untersuchungen des Abwassers in allen Landkreisen können zusätzlich dabei helfen, frühzeitig Prognosen über sich beschleunigendes Ausbruchsgeschehen zu treffen und die Verbreitung von Mutationen frühzeitig zu erkennen.
e) Den Schutz vor Infektionen an Schulen und Kindertagesstätten erhöhen; u. a. durch die regelmäßige Anwendung von Schnelltests, ein Investitionsprogramm für den Einbau von Lüftungsanlagen oder die Schaffung zusätzlicher Belüftungsmöglichkeiten, systematische Begleitung von Erzieherinnen und Erziehern und Lehrerinnen und Lehrern (z. B. angepasste Lehrmaterialien, IT-Ausstattung, professionelle Beratung) und die Vergabe von FFP2-Masken an Lehrkräfte und einen weiteren Ausbau und mehr Sicherheit in den Bussen und Bahnen. Analog sind Maßnahmen für die Erwachsenenbildung zu ergreifen.
f) Die Existenznot von Betrieben, (Solo-)Selbstständigen und Einrichtungen durch koordinierte Landesprogramme schnell und effektiv abzusichern. Für Betriebe, die aufgrund der Kriterien bei den aktuellen Hilfen keinen Anspruch auf Unterstützung haben und dennoch durch die Corona-Pandemie in ihrer Existenz bedroht sind, ist die zeitnahe Einführung eines Härtefallfonds zu prüfen. Mangelnde Planungssicherheit und schleppende Auszahlungen des Bundes dürfen Existenzen nicht länger gefährden. Hierfür ist eine schnelle Schließung der Lücken der Bundesprogramme durch eigene Landesprogramme geboten, etwa für Soloselbstständige und Kulturschaffende. Auch ist die Infrastruktur zur Gewährleistung einer schnellen Bearbeitung zu verbessern. Abschlagszahlungen aus den Hilfsprogrammen sind in Abstimmung mit dem Bund auf mindestens 75 % zu erhöhen. Auch mit den Kommunen sind Gespräche über den Bedarf an weiterer finanzieller Absicherung zu führen.
g) Kultur und Freizeit neue Perspektiven geben, die wärmeren Monate des Jahres bieten die Chance, viele Veranstaltungen draußen stattfinden zu lassen, wo das Infektionsrisiko deutlich niedriger ist. Diese Chance soll das Land mit einer Kampagne „Draußen ist das neue Drinnen“ nutzen und zugleich Kulturbetriebe bei der Umstellung auf alternative Veranstaltungskonzepte fördern. Hierbei sind insbesondere die von dem Bund geplanten Ausfallbürgschaften schnellstmöglich voranzutreiben und von Landesseite zu flankieren.
h) Die Kommunikation mit einer klaren, landesweiten Kampagne zu verbessern. Die Wirksamkeit der Maßnahmen hängt maßgeblich davon ab, wie gut die Funktionsweise des Stufenplanes verstanden wird und welche Vorteile eine konsequente Einhaltung der Stufen mit sich bringt. Hierbei ist insbesondere darauf zu achten, dass Informationen mehrsprachig und auch in leichter Sprache zur Verfügung gestellt werden und auch Menschen erreichen, die keinen Zugang zum Internet haben.
i) Mit den Bundesländern und der Bundesregierung einen bundeseinheitlichen Stufenplan vorzubereiten, um die Effektivität der Maßnahmen weiter zu steigern. Dabei kann auf die bisher erarbeiteten Stufenpläne zurückgegriffen werden.
j) Einbeziehung der Gesellschaft durch Beteiligungsprozesse, demokratische Beteiligungsformen müssen besonders in Krisensituationen gestärkt werden. Durch eine breite öffentliche Debatte und Rückmeldungsmöglichkeiten kann der Stufenplan verbessert werden und können neue Ideen schnell einfließen - gleichzeitig erleben die Betroffenen, dass sie gehört werden und Teil des Abwägungsprozesses sind.
Begründung
Vor fast einem Jahr erreichte die COVID-19-Pandemie Deutschland. Was anfangs schwer vorstellbar erschien, ist heute deutlich wie nie: Es ist keine verlässliche Prognose möglich, wie lange die Pandemie andauert und bis wann die für alle Menschen äußerst belastenden Einschränkungen anhalten werden. Die Landesregierung hat einen Stufenplan vorgelegt, der in dieser schwierigen Zeit eine Orientierung vermittelt, unter welchen Bedingungen konkrete Einschränkungen in Kraft treten und unter welchen Bedingungen diese wieder aufgehoben werden. In den nächsten Wochen und Monaten wird sich entscheiden, ob die Infektionszahlen auf einem niedrigen Niveau gehalten werden können oder ob neue Infektionswellen zu unvorhersehbaren und dauerhaften Belastungen führen. Vor diesem Hintergrund ist eine erfolgreiche Umsetzung des Stufenplans von immenser Bedeutung für das Land Niedersachen. Durch ein begleitendes Programm mit zielgenauen Maßnahmen können Akzeptanz und Wirksamkeit des Stufenplanes deutlich erhöht werden.
Dabei gilt es, Chancen zu nutzten und neue Wege zu gehen. Mit Kreativität und unkonventionellen Ideen lassen sich neue Ansätze für einen besseren Alltag in der Pandemie finden. Durch eine langfristig angelegte und unabhängige, wissenschaftliche Begleitung des Stufenplanes wird eine fortlaufend hohe Qualität des Zusammenwirkens der einzelnen Maßnahmen gewährleistet.
Auftretende, hochansteckende Varianten des Coronavirus bergen ein enormes zusätzliches Risiko, sowohl für eine Beschleunigung des Infektionsgeschehen als auch für die langfristige Wirksamkeit der Impfstoffe. Durch diese Varianten deutet vieles auf eine Verschlechterung der Lage hin. Diese Risiken müssen durch entschlossenes Handeln umgehend minimiert werden.
Die kommenden Monate sind mit weiteren großen Anstrengungen verbunden. In dieser entscheidenden Phase der Pandemie, die ein gemeinsames Werben der demokratischen Parteien für den Stufenplan erfordert, kann hier ein wichtiger Beitrag geleistet werden. Wir befinden uns in der größten Herausforderung der Geschichte des Landes Niedersachsen. Folglich setzt das Parlament enorme Anstrengungen in die Begleitung dieses Prozesses.