Änderungsantrag: Draußen ist das neue Drinnen - Erkenntnisse aus der Aerosolforschung berücksichtigen -Niedersachsen geht raus

 

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 18/9039
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung - Drs. 18/9319

Der Landtag wolle den Antrag in folgender Fassung beschließen:

Entschließung

Am 11. April schrieben fünf führende Mitglieder der Gesellschaft für Aerosolforschung (GAeF) einen offenen Brief an die Bundesregierung und die Ministerpräsident*innen der Länder. Darin berichten die Forscherinnen und Forscher, eine Übertragung der SARS-CoV-2 Viren finde „fast ausnahmslos in Innenräumen statt. Übertragungen im Freien sind äußerst selten und führen nie zu 'Clusterinfektionen', wie das in Innenräumen zu beobachten ist.“ Diese Erkenntnis deckt sich mit dem bisherigen Wissen über das Infektionsgeschehen und sollte daher unbedingt berücksichtigt werden, auch um neue, sicherere Perspektiven für ein Leben mit dem Corona-Virus zu ermöglichen. Außerhalb geschlossener Räume kann so perspektivisch wieder mehr gesellschaftliches Leben stattfinden. In dem offenen Brief empfehlen die Mitglieder der GAeF: „Wenn wir die Pandemie in den Griff bekommen wollen, müssen wir die Menschen sensibilisieren, dass DRINNEN die Gefahr lauert. In den Wohnungen, in den Büros, in den Klassenräumen, in Wohnanlagen und in Betreuungseinrichtungen müssen Maßnahmen ergriffen werden. Die andauernden Debatten über das Flanieren auf Flusspromenaden, den Aufenthalt in Biergärten, das Joggen oder das Radfahren haben sich längst als kontraproduktiv erwiesen. Wenn unseren Bürgerinnen und Bürgern alle Formen zwischenmenschlicher Kontakte als gefährlich vermittelt werden, verstärken wir paradoxerweise die überall erkennbare Pandemiemüdigkeit. Nichts stumpft uns Menschen bekanntlich mehr ab als ein permanenter Alarmzustand. Wir müssen uns deshalb um die Orte kümmern, wo die mit Abstand allermeisten Infektionen passieren - und nicht unsere begrenzten Ressourcen auf die wenigen Promille der Ansteckungen im Freien verschwenden.“ Auch das Robert-Koch-Institut kommt in dem epidemiologischen Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19 (Stand: 18.03.2021) zu einem ähnlichen Ergebnis: „Bei Wahrung des Mindestabstandes ist die Übertragungswahrscheinlichkeit im Außenbereich aufgrund der Luftbewegung sehr gering.“

Vor dem Hintergrund der sich in Großbritannien und anderen Ländern stark ausbreitenden und nochmals infektiösere Variante B.1.617.2, die erstmals in Indien festgestellt wurde, besteht eine besondere Dinglichkeit das Infektionsrisiko weiter zu minimieren und eine weitere Welle zu verhindern.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf, 

  1. Konzepte für „Draußen-Schulen“ und „Draußen-Angebote“ in Schulen und Kindertagesstätten zu entwickeln und bei deren Umsetzung zu unterstützen.
  2. die Angebote der Kinder- und Jugendarbeit mit gezielten Förderungen zu stärken und dabei einen Schwerpunkt auf Outdoor-Angebote zu legen.
  3. Bei den Kontaktbeschränkungen ebenfalls eine stärkere Differenzierung zwischen Draußen und Drinnen vorzunehmen.
  4. Universitäten und Hochschulen darin zu unterstützen, dass Präsenzangebote wie Seminare und Vorlesungen draußen stattfinden können.
  5. gemeinsam mit Unternehmen in Niedersachsen zu eruieren, inwiefern neben mobilem Arbeiten und Homeoffice auch Perspektiven für eine Umsetzung für Outdoor-Büros, Meetings und andere Perspektiven bestehen und welcher politischen Rahmenbedingungen oder Unterstützungen es hierfür bedarf.
  6. gleichzeitig einen Stufenplan für Draußen-Angebote zu entwickeln, der auch für den Handel, Veranstaltungen, Kultureinrichtungen und Gastronomie sowie den Tourismus Perspektiven jenseits der Angebote in Räumen schafft und dem Stand der Infektionsforschung durch Hygiene-standards und Vorgaben Rechnung trägt.
  7. eine coronakonforme Perspektive für Kultur und Freizeit mit einer Kampagne „Draußen ist das neue Drinnen“ zu entwickeln, voranzutreiben und damit neue Perspektiven zu ermöglichen, zugleich sollen Kulturbetriebe bei der Umstellung auf alternative Veranstaltungskonzepte gefördert werden.
  8. Erkannte Infektionen der Variante B.1.617.2 mit höchster Priorität nachzuverfolgen.
  9. Vorbereitungen zu treffen um auftretende Cluster und Hotsports von B.1.617.2 Infektionen durch zusätzliche Massentestungen und ggf. Impfungen unmittelbar einzudämmen.

Begründung

Nach wissenschaftlichem Stand ist das Infektionsrisiko, bei Einhaltung entsprechender Hygiene und Abstandsmaßnahmen, in Außenbereichen minimal. Trotz des Impffortschrittes in Niedersachsen ist die Gefahr einer weiteren Welle hoch. Bereits bestehende oder neu auftretende Varianten können eine höheres Infektionspotenzial aufweisen oder die Wirkung der Impfstoffe reduzieren. Eine niedrige Inzidenz kann somit entscheidend sein, die Verbreitung von gefährlichen Varianten zu bremsen oder ganz zu verhindern.

Die Scientific Pandemic Influenza Group on Modelling, Operational sub-group (SPI-M-O) der unabhängigen Scientific Advisory Group for Emergencies (SAGE) aus Großbritannien schätzt die Erhöhung der Infektionsrate von B.1.617.2 auf Grundlage des Infektionsgeschehens auf 50% höher gegenüber der Variante B.1.1.7 ein.[1] Aus eine Untersuchung der Gesundheitsbehörde England vom 22. Mai stellt eine Reduzierung der Wirksamkeit der Impfstoffe fest.[2] Nach der ersten Dosis ist die Reduzierung des Impfschutzes besonders stark. In den besonders von Infektionen mit B.1.617.2 betroffenen Kommunen steigen die Inzidenzen bei den Menschen unter 30 steil an. Am 19. Mai lag die Inzidenz in der englischen Stadt Bolton bei den Menschen zwischen 5 und 20 Jahren bei über 800.

Von einer weiteren Welle wären die Menschen stark betroffen, die bisher nicht geimpft wurden, dies trifft auf fast alle Schüler*innen zu. Schulen und Kindertagesstätten sind die Orte, in denen besonders viele Kontakte von Personen ohne Impfschutz stattfinden. Ein hohes zukünftiges Infektionsgeschehen an diesen Orten ist daher naheliegend und kann durch „Draußen-Angebote“ gesenkt werden  .


[1] Scientific Pandemic Influenza Group on Modelling, Operational sub-group (SPI-M-O): Consensus Statement on COVID-19, 12. Mai 2021, S.5

[2] Public Health England: SARS-CoV-2 variants of concern and variants under investigation in England, Technical briefing 12, 22. Mai 2021, S. 41

 

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